Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
24.
III
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FLORENZ – SALON-DE-PROVENCE
MONTAGNACHMITTAG – DIENSTAGABEND
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Und als er solches gesagt, rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus, an Händen und Füßen mit Grabtüchern umwickelt und sein Angesicht mit einem Schweißtuch umhüllt.
JOHANNESEVANGELIUM
Denn du bist der Herr über die Furcht und über den Sieg. Du, der du alles siehst, Herrscher über das Beständige, Schöpfer der Ewigkeit.
ÄGYPTISCHES TOTENBUCH
K APITEL 6 Die Auferstehung
F LORENZ,
M ONTAGNACHMITTAG – M ONTAGABEND
I
In der Nacht, in der Mama starb, saß ich die ganze Zeit über an ihrem Bett.
Ich bin nie ein einfacher Sohn gewesen, bin immer meine eigenen Wege gegangen und war nie bereit, mich anzupassen. Mama hat ihr Bestes gegeben, um das zu kaschieren. Dass sie sich dabei nur widerwillig zu meinem Albinismus bekannte, habe ich mir wohl nur eingebildet. Aber ich habe ihr trotzdem einiges vorzuwerfen. Dass sie Papa betrogen und dann auch noch Trygve Arntzen geheiratet hat, Papas illoyalen Freund und Mamas Liebhaber. Dass sie getrunken und Pillen genommen hat und dass sie mich unbewusst von sich weggeschoben hat, als mein Halbbruder Steffen auf die Welt kam. Aber in ihrer letzten Nacht habe ich nichts dergleichen gedacht. Da war sie einfach nur meine Mutter. Klein und ängstlich. Ein winziger Kopf auf einem viel zu großen, weißen Kissen. Eingefallene Wangen. Trockene, blasse Lippen. Ein fahler Blick. Ein Schlauch war an ihre Wange geklebt worden und verschwand in ihrer Nase, und über einen Tropf bekam sie Morphium.
Die meiste Zeit schlief sie. Aber manchmal sah sie auf und begegnete meinem Blick.
Die Ärzte hatten ihr noch ein paar Monate gegeben. Im besten Fall ein Jahr. Aber plötzlich gab sie auf. Konnte nicht mehr. Das Krankenhaus rief mich im Büro an. Trygve Arntzen wurde von einer Konferenz in New York zurückgerufen. Steffen sprang ins Auto und machte sich von einer Hütte in Trysil sofort auf den Weg zurück. Aber keiner von ihnen kam rechtzeitig. Mama starb mit ihrer Hand in meiner. Dieses eine Mal hatte es nur uns beide gegeben. Es geschah um 04.37 Uhr in der Nacht zum Donnerstag. Im einen Augenblick hörte ich sie atmen, leise röchelnd, als wäre in ihrem Hals kein Platz mehr für die Luft. Dann war alles still.
Für Mama war die Zeit ein für alle Mal stehengeblieben.
II
Schmerzen. Entfernte Geräusche, aufgeregte Stimmen. Sirenen.
Wo bin ich?
Die Gedanken wollten keine Form annehmen. Nichts machte Sinn. Wie wenn man aus einem packenden Traum aufwacht.
Dann erinnerte ich mich.
Mein Gott, man hat auf mich geschossen.
Ich war nicht ohnmächtig gewesen. Oder doch? Ich war mir nicht sicher. Hatte kein Gefühl für die Zeit.
Waren Sekunden vergangen? Minuten?
Wo war ich.
Auf dem Boden.
Ich lag auf dem Boden. Auf dem harten Boden der Uffizien.
Ich schlug die Augen auf.
Mein ganzer Körper schmerzte. Vom Kopf bis zu den Zehen. Es war unerträglich. Man hatte noch nie auf mich geschossen. Ich kann das nicht weiterempfehlen.
Ich fasste an meine Brust. Kein Blut. Nicht ein Tropfen.
Jemand tätschelte meine Wange.
Eine Frauenstimme: »Bjørn!«
Angelica. Angelica?
»Bjørn? Bist du wach?«
»Was?«
»Bleib ruhig liegen!«
»Aber …«
»Sie haben uns mit … Wie haben Sie das genannt?«
»Elektroschockpistole«, sagte der Wachmann. Er stand direkt hinter Angelica. Ein rundlicher Kerl mit einer weit weniger futuristischen, mechanischen Pistole. »Als sie die gesehen haben, haben sie sich ergeben.« Der Wachmann wedelte mit seiner Waffe herum.
»Krankenwagen und Polizei müssten jeden Augenblick hier sein«, sagte Regina Ferrari. Sie stand mit dem Handy am Ohr da.
Draußen verstummte erst die eine, dann die andere Sirene.
Dann strömten sie in den Raum. Polizisten. Sanitäter.
III
Angelica und ich wurden durch Horden von Touristen zu den Rettungswagen getragen. Mit vollen und streng genommen unnötigen Sirenen wurden wir zur Notaufnahme des Universitätskrankenhauses gebracht, wo die Ärzte feststellten, dass wir nicht nur am Leben, sondern weitestgehend unverletzt waren.
Ich weiß alles über Krankenhäuser, war schon oft genug da. Es ist mein Kopf, irgendwelche genetisch bedingten Fehlschaltungen. Ein Cocktail aus angeborenen und selbstverschuldeten Neurosen. Aber ich muss niemandem leidtun. Wirklich nicht. Ich will auch nicht jammern. Ich versuche bloß zu erklären, wer ich bin. Früher
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