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Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)

Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)

Titel: Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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seit Jahren schon keine Freundin mehr. Als ich ihr von meinen Aufenthalten in der Nervenklinik erzählte, begann sie zu weinen. Es dauerte ein paar Minuten. Ich sagte nichts. Dann putzte sie sich die Nase, wischte sich die Tränen ab und erzählte mir, dass sie in einem Orchester Oboe spielte. Dort hätte sie Lorenzo getroffen. Sie arbeitete in der Kulturredaktion des Corriere della Sera in Florenz. Ich hatte drei Tage gemeinsam mit ihr verbracht, ohne auch nur vage zu ahnen, dass sie Journalistin war. Sie erzählte mir von Silvio und Lorenzo. Dem Flötenspieler. Ich lächelte, nickte und träumte davon, derjenige zu sein, zu dem sie nachts unter die Decke kroch.
    »Glauben Sie mir, dass ich mich in Ihnen wiedererkenne?«, fragte sie.
    Die Frage kam so überraschend, dass ich ihr die Antwort schuldig blieb. Mir fiel nicht einmal ein ironischer Kommentar ein. Angelica Moretti erkannte sich in mir wieder?
    »Sie sehen auf sich selbst herab«, fuhr sie fort. Das war nicht ganz richtig. Ich sehe nur all die Schwächen, die die anderen nicht sehen. Wie viel Kraft verwende ich darauf, all diese Unzulänglichkeiten zu verbergen? Und warum? Um die Menschen glauben zu lassen, ich wäre ein ganz anderer Mensch als der, der ich bin? Angelica erwartete aber gar keine Antwort. »Sie nutzen Ihr Selbstbild als Schild gegen die Wirklichkeit«, behauptete sie. Darüber musste ich nachdenken. Wusste sie mehr über Bjørn Beltø als ich? Ich hatte viele Antworten auf der Zunge, aber Angelica kam mir zuvor. »Aber es liegt keine Größe darin, sich selbst kleinzumachen, Bjørn. Sie sollten damit aufhören«, sagte sie mit leiser, freundlicher Stimme. Trotzdem klang es wie eine Zurechtweisung.
    Ich antwortete nicht. Angelica suchte nach Worten. Sie hatte sich in einem rhetorischen Labyrinth verfangen und merkte es selbst. Schließlich begann sie wieder zu weinen. So ganz klar war sie wohl nicht im Kopf. Das war nicht herablassend gemeint, sondern einfach eine Feststellung. Ich selbst bin ja auch nicht ganz klar im Kopf.
    Sie streckte den Arm aus und streichelte mir kurz über die Hand. Eine entschuldigende Liebkosung.
    »Nachts«, sagte sie, »nachts liege ich manchmal wach, lausche Lorenzos Schnarchen und vermisse die Freiheit. Das Recht auf mein eigenes Leben. Darauf, allein zu schlafen.« Sie lachte kurz. Kalt. Ohne Freude und ohne Humor. Sie stieß nur ein kurzes Ha-ha-ha aus. »Wussten Sie, dass ich vor Lorenzo mit einem anderen Mann verheiratet war? Aber nein, woher sollten Sie das wissen. Wir waren zwei Jahre verheiratet. Er hieß Giorgio. Er hat mich verlassen, und wissen Sie, warum? Weil ich ihn betrogen habe.« Wieder dieses kalte Lachen. »Die tolle Angelica hat ihn betrogen, und nicht nur mit einem, sondern gleich mit mehreren.«
    Sie starrte vor sich in die Luft. Wie ich. Ins Dunkel. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Gewisse Dinge will man von anderen doch gar nicht wissen.
    Sie fuhr fort: »Die Schuld dafür kann ich natürlich meinen Nerven geben. Meinem Mangel an Selbstvertrauen. Oder meinem Drang nach Bestätigung. Aber das wären alles nur schlechte Entschuldigungen und Lügen. Ich bin irgendwie falsch zusammengesetzt, Bjørn. Mit mir stimmt etwas nicht. In all den Jahren, in denen ich Single war, fühlte ich nur Leere. Und als ich dann verheiratet war, fehlte mir gerade diese Leere. Auch wenn das keinen Sinn ergibt. Vielleicht sollte ich nicht Leere sagen, sondern Freiheit? Die Freiheit, die trotz allem ein Bestandteil dieser Leere war. Es gab eine Zeit, da habe ich all die Frauen mit ihren Kinderwägen und Ehemännern gesehen und gedacht, nein, so willst du nie werden. So unfrei. An einen Mann gebunden, an ein Kind, an Konventionen. Das bin nicht ich. Trotzdem habe ich Giorgio geheiratet. Ich war verliebt. Verliebt und dumm. Ich war schon immer der Meinung, dass Verliebtheit eine Form von Wahnsinn ist. Waren Sie jemals richtig verliebt, Bjørn? Verstehen Sie, was ich meine? Ich heiratete in einem Rausch der Liebe. War besessen. Aber ich habe schnell kapiert, dass die Ehe ein Käfig ist. Und so habe ich mich mit anderen getroffen. Ich will mich nicht selbst entschuldigen, ich habe mich Giorgio gegenüber wirklich nicht fair verhalten. Ich war eine Schlampe. Nein, nein, Sie brauchen mir nicht zu widersprechen, ich weiß das.«
    Pause. Ich sagte nichts. Hatte nichts zu sagen.
    »Es kommt vor, dass ich Silvio beim Schlafen zusehe und mich frage, wie herzlos ich eigentlich war, dass ich ihn in die Welt gesetzt habe.

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