Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
Verstehen Sie dieses Gefühl? Auch wenn Sie ein Mann sind? Können Sie sich vorstellen, wie hoffnungslos es ist, eine Mutter wie ich zu sein? Ich verstehe ja nicht mal, was mit mir los ist. Bin ich wirklich so banal und einfach, wie ich mich anhöre? Mein Gott, was fehlt mir nur?« Ihr Lachen war laut und schrill. »Wie verrückt muss man eigentlich sein, dass der eigene Sohn erst entführt werden muss, damit man erkennt, wie unendlich lieb man ihn hat? Wenn Sie wüssten, wie verzweifelt ich mir wünsche, dass das alles zu einem guten Ende kommt, Bjørn! Nicht nur wegen all der offensichtlichen Gründe. Ich …« Sie suchte nach dem richtigen Wort, dem richtigen Sinn. »In den letzten Tagen habe ich eingesehen, dass ich einen neuen Anfang brauche! Eine Möglichkeit, um Lorenzo und Silvio zeigen zu können, wer ich bin. Wer ich sein sollte.«
Eine ganze Weile lang sagte keiner von uns etwas. Angelica wirkte verlegen. Sie musste eingesehen haben, dass sie zu weit gegangen war. Dass sie mich in etwas eingeweiht hatte, das mich nichts, aber auch gar nichts anging. Wir tranken Rotwein aus der Flasche und aßen Ciabatta mit Salami. Draußen vor der Scheibe schwirrten riesige Mücken herum. Die Stille war beklemmend. Aber ich verkraftete jetzt keine weiteren Geständnisse, nicht von ihr, nicht von mir.
»Sind Sie müde?«, fragte ich.
»Eigentlich nicht, aber wir sollten wohl versuchen zu schlafen.«
»Ja, das sollten wir wohl.«
Wir kippten die Sitze so weit es ging nach hinten, aber ein Himmelbett wurde nicht gerade daraus. »Gute Nacht«, sagte ich. Allein die Tatsache, diese Worte zu sagen – zu ihr, als gäbe es nur uns zwei auf der Welt –, wärmte mir das Herz. Sie streckte ihren Arm aus und streichelte mir über die Wange. Lächelte traurig.
»Gute Nacht, Bjørn.« Bjorn …
K APITEL 19 Tomasso Vasari
G ROSSETO,
D ONNERSTAGMORGEN
I
Alles an ihm war schief und verwachsen. Der Kopf und der Hals. Der Mund. Die Schultern. Der ganze Körper neigte sich nach links. Als hätte man ihn verdreht und zusammengestaucht und wüsste nun nicht mehr, wie er ursprünglich ausgesehen hatte.
»Willkommen in der Casa Grosseto« , sagte er. »Ich bin Tomasso Vasari.«
Streng genommen sagte er das nicht. Die Begrüßung war auf einem PC gespeichert und wurde von einer Roboterstimme über einen Lautsprecher ausgesprochen. Er saß in einem elektrischen Rollstuhl, der an ein Mondlandefahrzeug erinnerte.
»ALS« , erklärte er. Auch diese Antwort war vorprogrammiert. »Amyotrophe Lateralsklerose. Die Hölle, um es deutlich zu sagen. Die motorischen Nervenzellen werden angegriffen. Ich preise jeden neuen Tag.«
Seine Hände lagen auf einer Sensortastatur, über die er den Rollstuhl manövrierte und kommunizierte. Er lenkte sein Leben mit den Fingerspitzen.
Der Elektromotor seines Rollstuhls summte leise, als er vor uns her in ein großes Arbeitszimmer fuhr, das wie ein Bühnenbild aussah. Ein gigantischer, altmodischer Globus auf einem Goldstativ. Ein vergoldetes Teleskop, das noch von Galileo Galilei hätte stammen können. Und Bücher, selbstverständlich. Ein Meer an Büchern.
Eine Krankenpflegerin in weißer Hose und grünem Kasack kam herein und brachte Kaffee und Gebäck. Sie setzte ihn im Rollstuhl zurecht und ging wieder.
Vasari rief eine weitere vorprogrammierte Nachricht auf: »Es ist mir eine Ehre, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen, Bjørn Beltø. Auch wenn ich an den Rollstuhl gefesselt bin, habe ich Ihre Arbeit über die Jahre mit großem Interesse verfolgt.« Er drehte sich so weit nach rechts, dass er Angelica im Blick hatte. »Frau Moretti, ich kenne Ihren Ehemann Lorenzo nicht persönlich, bin aber sehr wohl vertraut mit seinem fachlichen Ruf und seinen Auszeichnungen. Ich hoffe, ich kann mit Informationen beitragen, die Ihnen helfen, ihn und Ihren Sohn zu finden.«
II
Tomasso Vasari war ein rollendes Lexikon, was die Mysterien um die Bundeslade betraf. Mit den Fingerkuppen aktivierte er fertig programmierte Vorträge über die unterschiedlichsten Theorien um das Verschwinden der Lade und ihre Bedeutung für das Judentum, Christentum und den Islam.
» Sie kennen natürlich die Geschichte der Schriftrollen vom Toten Meer, die nach dem Krieg in Qumran entdeckt wurden«, sagte die Roboterstimme. »Unter Forschern zirkuliert das Gerücht, dass in Höhle 11 eine einzigartige Handschrift gefunden wurde. Neben der Tempelrolle – einer Offenbarung Gottes an Moses –, Versionen des dritten und fünften
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