Das Nostradamus-Testament: Thriller (German Edition)
der Unfehlbarkeit der Dogmen, gestützt von der Überzeugungskraft sakraler Liturgien. Andere suchen Gott am Rand des Daseins, wo niemand sucht, der nicht hofft, etwas zu finden, was sich nicht finden lässt. Schutzengel. Okkulte Helfer. Verstorbene Urahnen. Die Vorstellung von einem Gott, der über uns wacht und uns Gutes will. Die ultimative Sehnsucht. Die Kraft des Glaubens … Aber alle Religionen haben zwei Seiten. Eine innere Balance. Hell und Dunkel. Yin und Yang. Weiß und Schwarz. Wärme und Kälte. Stille und Lärm. Ruhe und Chaos. Güte und Bosheit. Und um Götter und Engel auszubalancieren, haben wir Teufel und Dämonen. Wir finden sie in den Schatten. Da hausen sie. Halb versteckt, halb sichtbar. Immer in den Schatten. Für wen hältst du dich eigentlich?, keifen sie, ebenso lautlos wie schrill, wenn dir endlich etwas gelungen ist. Dann kommen sie angerannt, um die Sonne abzuschirmen, die endlich in dein Leben gekommen ist. Ja doch, sie sind in den Schatten. Immer in den Schatten.
II
Wie ein Schiff auf einem Ozean aus Dunkelheit pflügten wir durch die Nacht. Florenz lag hinter uns. Eine gefährliche Stadt. Das war klar. Wir fühlten uns jetzt wieder etwas sicherer. Waren bereits weit weg. Auch wenn sie uns in Florenz einigermaßen unter Kontrolle gehabt hatten, konnten sie uns im Moment kaum aufspüren. Weder die Banditen noch die Polizei. Die Einladung von Tomasso Vasari passte perfekt. Statt den direkten Weg nach Grosseto zu nehmen, machten wir einen Umweg über Lucca und Pisa. Nur um mögliche Verfolger zu verwirren. Mönche und anderes Pack. Angelica und ich machten uns Sorgen um Bernardo Caccini. War es ihm so ergangen wie Regina Ferrari und Theophilus de Garencières? Und was war mit Carlo Cellini und Piero Ficino? Wir hielten an mehreren Tankstellen an und telefonierten. Carlo Cellini ging gleich ans Telefon. Aus irgendeinem Grund – vielleicht wusste er nichts, das gefährlich oder geheim war – war er kein Ziel für die Mönche. Piero Ficino hatte sein Handy ausgeschaltet, ein neuer Ansagetext verkündete aber, dass er auf einer längeren Reise sei. Bernardo Caccini ging nicht ans Telefon, was aber nichts heißen musste. Er konnte in Deckung gegangen sein. Geflohen. Wie wir. In Livorno rief Angelica die Polizei an und bat sie, die Laurenziana-Bibliothek genau zu untersuchen. Ihren Namen nannte sie nicht. Wir hasteten weiter durch die Nacht. Morgen, sagte ich, könnten wir von Grosseto weiter nach Rom reisen, die Kathedrale untersuchen und nach weiteren Spuren fahnden. Ich hatte das sichere Gefühl, dass in der cattedrale della diocesi di Roma etwas auf uns wartete. Vielleicht das Geheimnis von Machiavelli, Nostradamus und Michelangelo?
III
Vor Piombino parkten wir unter ein paar Bäumen auf einer Anhöhe. Wir hätten einen fantastischen Blick über das tyrrhenische Meer gehabt, wäre es nicht so dunkel gewesen. So blinkte nur die eine oder andere Laterne in dem schwarzen Abgrund, der vor uns lag. Wir hatten uns entschlossen, im Auto zu schlafen. Es kam uns sicherer vor, als in einem Hotel abzusteigen. In vielerlei Hinsicht. Wir hatten uns Essen besorgt, Wasser und eine Flasche toskanischen Rotwein. Obwohl es mitten in der Nacht war, konnte Angelica nicht schlafen. Sie war viel zu aufgeregt. Eine Straßenlaterne schien ins Auto, und in dem bläulichen, leicht metallischen Licht kam es mir zum ersten Mal so vor, als sähe ich die wahre Angelica Moretti. Die eigentliche. Diejenige, die hinter der glitzernden, so adrett geschminkten Fassade mit den lockigen blonden Haaren und dem fröhlichen Lachen versteckt war. Ihre Schönheit war wie eine dünne Schicht Plastik, die sich über etwas Undefinierbares zog, das man nur erahnen konnte. Eine Schicht, die auf vielen anderen Schichten lag. Und ganz unten erahnte ich einen Kern, der nicht so faltenfrei und schön, nicht so adrett war. Als wäre Angelica Morettis Schönheit auf seltsame Weise ein Trugbild, erschaffen von der Vorstellung ihrer Schönheit. Ihre vollen Haare, die Schminke, ihre Figur, die rot lackierten Nägel und der Schmuck, den sie trug, bildeten ein verführerisches Blendwerk, eine äußere Schale, eine Maske, die ihr wahres Ich, das sie nur ungern zeigte, verdeckte.
Wir saßen da und redeten. Ich erzählte ihr von meinem Leben, von meinem Vater und von meiner schwierigen Beziehung zu meiner Mutter. Sie fragte mich, ob zu Hause denn eine Lebensgefährtin auf mich wartete. Im Moment nicht, sagte ich. Eine blanke Lüge – ich hatte
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