Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
haben, indem er einen Selbstmordversuch unternahm. Welche anderen Tatsachen besitzen Sie?«
»Haben Sie alles für die Suche nach den Leichen vorbereitet?«
»Drei Konstabler sind unterwegs.«
»Dann werden Sie bald über die klarste aller Tatsachen verfügen. Die Toten können nicht weit weg sein. Versuchen Sie es in Keller und Garten. Es kann nicht viel Zeit kosten, an den Stellen zu graben, wo sie wahrscheinlich zu finden sind. Dieses Haus ist älter als die Wasserleitungen, also muß es irgendwo einen stillgelegten Brunnen geben. Versuchen Sie dort Ihr Glück.«
»Aber wie konnten Sie von den wirklichen Vorgängen erfahren? Und wie hat er es gemacht?«
»Ich werde Ihnen vorstellen, wie er es gemacht hat, und dann werde ich die Erklärung geben, die ich Ihnen und mehr noch meinem geduldigen Freund hier schuldig bin, dessen Hilfe von Anfang bis Ende unschätzbar war. Aber zuerst möchte ich Ihnen Einblick in die Mentalität des Mannes geben. Sie ist sehr ungewöhnlich – so ungewöhnlich, daß ich glaube, seine Endstation wird wahrscheinlich eher Broadmoor als das Schafott sein. Er besitzt in einem hohen Grad die Gemütsart, die man eher mit der mittelalterlichen italienischen Natur als der des modernen Briten assoziiert. Er ist ein elender Geizhals, der seine Frau durch seine knickrigen Gewohnheiten so unglücklich machte, daß sie reife Beute für jeden Abenteurer war. Ein solcher betrat die Szene in der Person des schachspielenden Arztes. Amberley brillierte im Schach – ein Hinweis, Doktor, auf einen planenden Verstand. Wie alle Geizhälse war Amberley eifersüchtig, und seine Eifersucht entwickelte sich zu rasendem Wahnsinn. Zu recht oder unrecht hegte er den Verdacht, daß die beiden ein Verhältnis hätten. Er beschloß, Rache zu üben, und er plante sie mit teuflischer Gerissenheit. Kommen Sie mit!«
Er führte uns durch den Korridor mit soviel Sicherheit, als wohnte er in dem Hause, und hielt vor der Tür zu dem feuer- und einbruchssicheren Raum.
»Pfui! was für ein schauderhafter Farbgeruch!« rief der Inspektor.
»Das war der erste Hinweis für uns«, sagte Holmes. »Dafür können Sie sich bei Dr. Watsons Beobachtungsgabe bedanken, obwohl er versäumt hat, den Schluß daraus zu ziehen. Ich folgte die ser Spur. Weshalb hatte der Mann es zu solch einem Zeitpunkt darauf angelegt, sein Haus mit solch starken Gerüchen zu verpesten? Offensichtlich, um einen anderen Geruch, den er verheimlichen wollte, zu überdecken – einen Geruch nach Verbrechen, einen, der Verdacht erregen konnte. Als nächstes kam der Gedanke an einen Raum, wie Sie ihn hier sehen, mit Tür und Läden aus Eisen – einen hermetisch abgeschlossenen Raum. Diese beiden Tatsachen zusammen genommen – wohin führen sie? Das konnte ich nur entscheiden, wenn ich das Haus persönlich untersuchte. Ich war bereits sicher, daß es sich um einen äußerst ernsten Fall handelte, denn ich hatte beim Haymarket-Theater den Sitzplan eingesehen – wieder einer von Dr. Watsons Schüssen ins Schwarze – und ermittelt, daß weder B dreißig noch B zweiunddreißig im zweiten Rang an dem Abend besetzt waren. Also war Amberley nicht im Theater, und sein Alibi entfiel. Er beging einen schlimmen Schnitzer, als er meinem schlauen Freund gestattete, sich die Platznummer der Karte für seine Frau zu merken. Nun stellte sich mir die Frage, wie es gelingen könnte, das Haus zu durchsuchen. Ich schickte einen Agenten an den unmöglichsten Ort, der mir einfiel, und ließ meinen Mann dorthin bestellen, und zwar zu einer Zeit, die es keinesfalls gestattete, daß er am selben Tag noch zurückkehrte. Um ein Mißlingen zu verhindern, gab ich ihm Dr. Watson bei. Den Namen des guten Vikars entnahm ich selbstverständlich meinem Crockford. Drücke ich mich klar genug aus?«
»Das alles ist meisterhaft«, sagte der Inspektor ehrfürchtigen Tones.
»Da ich Störung nicht zu befürchten brauchte, machte ich mich daran, in das Haus einzubrechen. Einbrecher zu sein, hatte ich mir schon immer als alternativen Beruf für mich vorstellen können, wenn ich mich nur dafür hätte entscheiden mögen, und ich zweifle kaum, daß ich auch darin erstklassig geworden wäre. Schauen Sie, was ich entdeckt habe. Sie sehen hier die Gasleitung an der Scheuerleiste. Nun gut. Sie macht dort einen Knick und verläuft weiter die Wand hinauf, und hier in der Ecke befindet sich ein Ventil. Das Rohr geht dann durch die Wand in den einbruchsicheren
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