Das Notizbuch von Sherlock Holmes, Bd. 5
aber vergebens. Um ein Fazit zu ziehen: Sie hat vor, ihn nächsten Monat zu heiraten. Sie ist großjährig und hat einen eisernen Willen, und da fällt es schwer, ein Mittel zu finden, sie davor zu bewahren.«
»Weiß sie von dem Geschehnis in Österreich?«
»Der schlaue Teufel hat ihr alle die ekelhaften öffentlichen Skandale seines Lebens berichtet, aber immer so, als wäre er ein unschuldiger Märtyrer. Sie glaubt seiner Version aufs Wort und hört sich nichts anderes an.«
»Du lieber Himmel! Aber Sie haben jetzt sicherlich ungewollt den Namen Ihres Klienten preisgegeben. Es ist zweifellos General de Merville.«
Unser Besucher rückte nervös im Sessel hin und her.
»Ich könnte Sie hinters Licht führen, indem ich Ihnen zustimmte, Mr. Holmes, aber das möchte ich nicht. De Merville ist ein gebrochener Mann. Den tapferen Soldaten hat dieser Zwischenfall völ lig demoralisiert. Er hat seine Kraft verloren, die ihn auf dem Schlachtfeld nie verließ, und er ist ein schwacher, zitternder alter Mann geworden, völlig ungeeignet, es mit einem glänzenden, erfolgreichen, wirkungsvollen Schurken wie dem Österreicher aufzunehmen. Mein Klient ist ein anderer, ein guter Freund, er kennt den General seit vielen Jahren und nimmt väterlichen Anteil an dem jungen Mädchen schon seit der Zeit, da sie noch in kurzen Röcken ging. Er kann es nicht mit ansehen, wie die Tragödie sich vollendet, ohne daß etwas unternommen wird, sie aufzuhalten. Es ist nichts daran, weshalb Scotland Yard eingreifen könnte. Es war sein Vorschlag, Sie zu beauftragen, aber, wie ich schon sagte, unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er persönlich nicht in die Angelegenheit verwickelt wird. Ich hege keinen Zweifel, Mr. Holmes, daß Sie bei Ihren großen Fähigkeiten meinen Klienten über meine Person leicht aufspüren könnten, doch ich muß Sie bei Ihrem Ehrenwort bitten, davon Abstand zu nehmen und sein Inkognito nicht zu lüften.«
Holmes lächelte seltsam.
»Ich denke, das kann ich Ihnen fest zusichern«, sagte er. »Ich sollte hinzufügen, daß Ihr Problem mich interessiert und ich mich also damit beschäftigen werde. Auf welchem Wege soll ich zu Ihnen die Verbindung herstellen?«
»Der Carlton Club wird mich zu finden wissen. Aber wenn sich etwas Dringendes ergibt – hier ist eine private Telefonnummer: XX 31.«
Holmes schrieb sie sich auf und behielt, weiterhin lächelnd, das Notizbuch auf den Knien.
»Bitte, die jetzige Adresse des Barons.«
»›Vernon Lodge‹ bei Kingston. Es ist ein großes Haus. Er hat in einigen ziemlich dunklen Spekulationen Erfolg gehabt und ist ein reicher Mann, was ihn natürlich zu einem noch gefährlicheren Gegner macht.«
»Hält er sich gegenwärtig in London auf?«
»Ja.«
»Können Sie mir außer dem, was Sie bereits gesagt haben, noch weitere Informationen über den Mann geben?«
»Er hat einen teuren Geschmack. Er ist ein Pferdeliebhaber. Für kurze Zeit spielte er in Hurlingham Polo, aber die Prager Affäre wirbelte Staub auf, und er mußte aufhören. Er sammelt Bücher und Bilder. Er besitzt beträchtliche künstlerische Anlagen. Er ist, glaube ich, eine beachtete Autorität auf dem Gebiet der chinesischen Keramik und hat auch über den Gegenstand ein Buch geschrieben.«
»Ein vielseitiger Geist«, sagte Holmes. »Wie alle großen Verbrecher. Mein alter Freund Charlie Peace war Geigenvirtuose. Wainwright war kein schlechter Maler. Ich könnte noch viele anführen. Nun, Sir James, Sie dürfen Ihren Klienten davon in Kenntnis setzen, daß ich mich um den Baron Gruner kümmern werde. Mehr verspreche ich nicht. Ich verfüge über einige Informationsquellen, und ich glaube sagen zu können, wir werden
Mittel und Wege finden, die Angelegenheit zu erledigen.«
Nachdem unser Besucher uns verlassen hatte, saß Holmes so lange in Gedanken versunken da, daß es aussah, als hätte er meine Gegenwart vergessen. Schließlich kam er aber doch plötzlich wieder auf die Erde zurück.
»Nun, Watson, irgendwelche Meinungen?« fragte er.
»Ich denke, Sie sollten die junge Dame einmal besuchen.«
»Mein lieber Watson, wenn ihr armer gebrochener alter Vater sie nicht bewegen kann, wie soll es da mir, einem Fremden, gelingen? Dennoch ist etwas an Ihrem Vorschlag, falls sonst alles fehlschlägt. Wir müssen an einer anderen Ecke beginnen. Ich könnte mir fast vorstellen, daß Shinwell Johnson eine Hilfe wäre.«
Ich
Weitere Kostenlose Bücher