Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
Rücktritt des ewigen Premierministers al-Chalifa forderten. Doch das brutale Vorgehen der Polizei, die einen Jungen erschoss und am nächsten Tag bei seinem Begräbnis wieder das Feuer eröffnete, ließ die Zahl der Protestierenden schnell auf 10000 anschwellen. Der Perlenplatz in Manama wurde besetzt, von Schlägern geräumt, später zurückerobert. In der folgenden Woche demonstrierten 100000 Bahrainer für ein Ende des Regimes. Auf die übliche Panikmache aus dem Palast – hier versuche Teheran wieder einmal, eine schiitische islamische Republik vor der Küste Saudi-Arabiens zu gründen – reagierten die Demonstranten mit Chören: »Wir sind Bahrainer, keine Schiiten oder Sunniten!«
Wie der Balkan liegen auch die östlichen Gestade der Arabischen Halbinsel historisch an der Schnittstelle von Territorien mit weit entfernten Hauptstädten. Die Familie al-Chalifa wurde in den 1860er-Jahren von den Briten zu Herrschern über das Protektorat gekürt, nicht zuletzt wegen ihrer prekären Stellung – als sunnitische Neuankömmlinge hatten sie das Archipel erst 40 Jahre zuvor übernommen. Sie waren auch deswegen ideale Marionetten, weil sie den uralten Machtansprüchen der Perser feindlich gegenüberstanden. Ohne Hilfe von außen hätten sie sich angesichts der vornehmlich schiitischen Bevölkerung aus Fischern und Perlentauchern niemals halten können. Als Bahrain 1971 unabhängig wurde, forderten die Menschen, per Volksentscheid über die Regierungsform abstimmen zu dürfen, was aber von den UN untersagt wurde. Eine Meinungsumfrage fand jedoch statt – und ergab eine überwältigende Mehrheit für ein unabhängiges Bahrain. Die Hoffnung Reza Pahlewis, des Schahs von Persien, Bahrain würde seine Autonomie freiwillig an sein Land abgeben, hatte sich also ohnehin als Hirngespinst erwiesen. Mit dem Vorwand, der Iran wolle die Souveränität Bahrains unterlaufen, vereitelte die Herrscherfamilie bis jetzt jeden Demokratisierungsversuch. Wie überall im Golf sitzen in den Schlüsselministerien ausschließlich Familienmitglieder, der Premier regiert seit 40 Jahren. Ein riesiger Marinestützpunkt der USA beherbergt zurzeit die Fünfte Flotte. Von der Basis lässt sich der Iran bequem erreichen, außerdem ist sie ein Zentrum für die amerikanischen Operationen im Irak, in Afghanistan und im Indischen Ozean. Seit Jahrzehnten ist die schiitische Bevölkerungsmehrheit verbittert über ihre Benachteiligung durch die Herrscherclique, über die lausigen Wohnverhältnisse (im Schatten gläserner Bankpaläste und gewaltiger Ölterminals, die die Inseln verschandeln), über chronische Jugendarbeitslosigkeit und Polizeigewalt (viele Polizisten stammen aus Pakistan und dem Jemen, sind also in der örtlichen Gemeinschaft nicht verwurzelt; diese Praxis wurde noch unter den Briten eingeführt und vom Herrscherclan übernommen). 1997 klagte die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen über die Folter politischer Aktivisten in Bahrain: Sie würden an ihren Gliedmaßen aufgehängt, massiv verprügelt, ins Wasser getaucht, bis sie fast ertranken, und mit Bohrmaschinen gefoltert. Unter dem Druck der Massen wurden viele politische Gefangene vorübergehend entlassen, aber bald danach wieder verhaftet.
Als die Proteste am Perlenplatz eskalierten, reagierte Washington, indem es die Verhandlungen über kosmetische Reformen an der Verfassung wiederbelebte, die sich schon ein Jahrzehnt lang hinzogen. Doch Riad entschied sich für eine andere Lösung: für ein Massaker. Saudische Panzer rollten über die Brücke nach Bahrain. Der Angriff auf den Perlenplatz begann am 16. März 2011 mit Kampfhubschraubern, Tränengas und scharfer Munition. Panzer beschossen Dörfer und zerstörten ein Krankenhaus, in dem die Verwundeten behandelt wurden. Hunderte junger Demonstranten sind seitdem in der »Festung« des Innenministeriums verschwunden, einige wurden schon zu Tode gefoltert.
Bei allen Nachbarn Saudi-Arabiens brodelt es: in Ägypten, im Jemen, im Oman, in Bahrain, im Irak, in Jordanien. Die saudische Gesellschaft ist nicht monolithisch; jede Stadt hat ihren eigenen Charakter. Dschidda und Medina haben eine skeptische Intelligenzija und Elemente einer literarischen Untergrundkultur. Die Rückständigkeit des Landes ist bekannt: Frauen sind juristisch unselbstständig, sie dürfen ohne die Erlaubnis eines männlichen Vormunds das Haus nicht verlassen, selbst das Steuern eines Autos ist ihnen verboten. In einigen Vierteln herrscht noch immer
Weitere Kostenlose Bücher