Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
ebenso wie die dem Westen weniger freundlich gesinnten Regimes in Syrien und Algerien – gestützt hatte: Bei demokratischen Wahlen wären vermutlich islamische Parteien an die Macht gekommen. Genau das ist nun in Ägypten und Tunesien passiert. Allerdings sind die ägyptischen Muslimbrüder und die tunesische en-Nahda im Grunde konservative Parteien, die die zentralen amerikanischen Interessen vermutlich nicht gefährden. Doch für Israel ist das Leben schon ein wenig ungemütlicher geworden. Es muss sich erst noch zeigen, ob Tel Aviv den neuen Zustand akzeptiert oder die neuen Machthaber der Nachbarschaft provoziert.
Eine wichtige Triebfeder hinter der Revolte bestand darin, dass viele junge Menschen das Gefühl hatten, ihre Länder befänden sich in einer historischen Sackgasse und könnten erst Richtung Moderne aufbrechen, wenn die Diktatoren beseitigt wären. Doch der weltweite Aufwärtstrend nach 1990, der ohne die arabische Welt stattgefunden hatte, ist zum Stillstand gekommen. Der Westen leidet noch immer unter der Kernschmelze des Finanzsystems 2008, kämpft mit Schulden und Defizitkrisen. Die Bedingungen, unter denen der globale Aufschwung der 1990er-Jahre stattgefunden hatte, gelten nicht mehr. Ein demokratisches Arabien muss sich also einen eigenen Weg in die Moderne suchen. Zum alten Status quo führt kein Weg mehr zurück, selbst wenn keine weiteren Durchbrüche in Sachen Demokratie gelingen sollten. Dafür sind die Umwälzungen in Ägypten – das für die Region ein ähnliches Vorbild ist wie Frankreich 1848 für Europa – zu groß gewesen. Es steht zu hoffen, dass es den Ägyptern und Tunesiern gelingt, die Systeme Mubarak und Ben Ali mit Stumpf und Stiel auszureißen und die Diktatoren samt ihrer Handlanger vor Gericht zu bringen, damit sie sich ihren Verbrechen am Volk stellen. Wie in der EU üblich, sollten alle Verträge, die die nationale Souveränität beschneiden, nur nach Volksentscheiden ratifiziert werden. Man sollte auf alle Parteien, die sich zur Wahl stellen, maximalen Druck ausüben, sich für eine faire Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern einzusetzen. Die Rechte beider Völker müssen respektiert werden, keines darf privilegiert werden. Das heißt: entweder eine echte Zwei-Staaten-Lösung mit gleicher Souveränität, gleicher Staatsfläche und vergleichbaren Ressourcen oder ein gemeinsamer Staat mit säkularer Demokratie. Da Ersteres nun unmöglich ist, bleibt nur die zweite Lösung, egal wie utopisch sie heute scheint. Nur sie ist machbar und vernünftig. Doch die USA denken gar nicht daran, sie weiter zu verfolgen. Auch 2011 hat Obama Israel zwar – wie alle US -Präsidenten zuvor – zu einer friedlichen Einigung mit Palästina gedrängt, in den vergangenen Jahrzehnten haben die USA jedoch so fest zu Israel gehalten, dass selbst gemäßigte Forderungen chancenlos bleiben. Für die Heuchler in Tel Aviv ist es undenkbar, dass Israel sich hinter die Grenzen von 1967 zurückzieht, selbst wenn der Deal mit dem Angebot, die Bevölkerungen entsprechend umzusiedeln, versüßt würde. Der amtierende israelische Ministerpräsident Netanjahu wurde vom Kongress mit stehenden Ovationen geehrt – ein Tribut an die politische und finanzielle Macht des AIPAC . Obama wird daran nicht rütteln – es ist doch Wahlkampf, oder?
Die Völker Arabiens wollen eine Region ohne Despoten und Sultane – ein Szenario, das der Sheriff in Washington fürchtet.
Die verheerende Niederlage der Demokraten bei den Wahlen zur Mitte der Legislaturperiode überraschte niemanden. Was für ein seltsames Schauspiel Obama bietet! Von Rivalen gelobt – kürzlich pries George W. Bush in seinen Memoiren Obamas Charisma und Politik –, doch von der Wählerschaft verlassen. Vielleicht besteht ja ein Zusammenhang. Seine Wirtschafts- und Außenpolitik mag zwar George W. Bush gefallen, bei demokratischen Wählern kommt sie jedoch nicht gut an. Viele, die 2008 für Obama gestimmt hatten, blieben jetzt zu Hause. Erwartungsgemäß sank die Wahlbeteiligung von Jugendlichen (von 18 auf 11 Pro zent), Schwarzen (von 13 auf 10 Prozent) und Geringverdienern am stärksten. Doch insgesamt erreichte die Beteiligung mit 37,3 Prozent aller Menschen im wahlberechtigten Alter – darunter Millionen Häftlinge und anderweitig Entrechtete – durchaus kein historisches Tief. Nach dem überwältigenden Sieg der Republikaner gehört Obama jetzt zu den wenigen Regierungschefs, denen das Wahlvolk wegen der
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