Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
konterrevolutionäre Gewalt in Schach gehalten wurde. So bekamen die Bewegungen Zeit, sich zu organisieren und Druck auf die Übergangsregierung auszuüben. Dennoch liegt es in Händen der Armee, die Institutionen der Diktatur aufzulösen. Ob sie dazu willens und in der Lage ist?
Bald schien der ganze Schwung wieder zu versanden. Militärrat und Medien starteten gemeinsam die Kampagne »Vergeben und Vergessen«, die Bevölkerung bekam SMS -Nachrichten mit der Bitte, der »Polizei eine zweite Chance zu geben«. Eine Ministerriege musste gehen und wurde durch Leute ersetzt, die die Bewegung vorgeschlagen hatte. Einige Regimebüttel wurden zwar angeklagt, doch nur wegen Korruption, nicht wegen Mordes oder Folter. Erst nach erneuten Massenprotesten im April 2011 kamen auch Mubarak und seine Söhne vor Gericht. Das Militär, vorher beim Volk hoch angesehen, geriet bei diesen Protesten zunehmend in die Kritik.
Die Junta, das hatten die Leute inzwischen verstanden, strebte im Grunde eine Neuauflage des Systems Mubarak an, wenn auch mit neuen Köpfen. Zähneknirschend akzeptierte der Militärrat, dass den Muslimbrüdern eine legitime – und legitimierende – Rolle zufallen würde. Gut, dass die ägyptischen Muslimbrüder traditionell ein gutes Verhältnis zu Militär und altem System haben: In der Vergangenheit kollaborierte die Spitze der Muslimbrüderschaft ganz unverschämt mit Mubarak, sie verhandelte auch fröhlich mit Suleiman, während auf dem Tahrir-Platz Polizeibüttel auf Demonstranten einschlugen. Die jüngeren Mitglieder der Brüderschaft sind allerdings viel radikaler und ungeduldiger. Die Bewegung könnte sich also andersherum spalten als der türkische Islamismus, wo sich die offen pro-kapitalistische »gemäßigte« jüngere Generation um Erdogan und Gul sich von der anti-imperialistischen Garde um Erbakan löste und die AKP gründete, die politische Heimat der aufstrebenden Mittelklasse. Von innenpolitischen Fragen einmal abgesehen, wird das Verhältnis zu Israel ein zentraler Knackpunkt innerhalb der Muslimbruderschaft sein. Die ältere Führungsriege wird dieses Tabu nicht anrühren wollen, um sich nicht mit Militär und USA zu überwerfen, doch die jungen Hitzköpfe denken in dieser Frage ganz anders.
In Libyen verwandelte sich der Protest so rasch zu einer bewaffneten Rebellion, dass soziale Fragen nie aufkamen. Angelsachsen glauben ja hartnäckig an den Mythos, Wüstengesellschaften seien simpel. Dabei ist Libyen, ebenso wie der Irak, ein extrem komplexes Land, nicht zuletzt nach dem vergangenen Jahrhundert mit all seinen Wirrungen. Die Provinzen des Osmanischen Reiches Tripolitanien, Fessan und Cyrenaika widersetzten sich der Kolonialisierung energischer als sonst irgendeine Region im Maghreb. Nach dem Verlust Algiers löste die Hohe Pforte 1830 den Herrscher Tripolitaniens durch einen professionellen Militärgouverneur ab, der in der ganzen Region Forts baute und den mächtigen sufistischen Sanussi-Orden mit der Verteidigung der östlichen Provinz Cyrenaika beauftragte. 1911 fielen die Italiener ein, mit Rückendeckung durch die Entente cordiale. Doch sie stießen auf heftigen Widerstand: Die Jungtürken Enver Bey und Mustafa Kemal eilten persönlich Libyen zu Hilfe, um Freiwillige auszubilden. Bis 1918 kamen die Italiener nie über die Küstenstädte hinaus. 1923 startete Mussolini einen zweiten Versuch: Felder wurden angezündet, Brunnen zerstört, Herden getötet, Dörfer durch Bombenangriffe unterworfen, Rebellen gehängt. Man darf fast von einem Genozid sprechen: Zwischen 1911 und 1943 halbierte sich die Bevölkerung Libyens infolge von Krankheiten, Hunger, Massakern und Vertreibung. Zehntausende wurden samt ihrer Herden in Konzentrationslagern in der Wüste eingepfercht, Tausende mehr in Arbeitsbrigaden gepresst, die für Mussolinis Kolonisten futuristische Dörfer bauen mussten. Die sozialen und administrativen Strukturen des Osmanischen Reichs wurden zerschlagen, die Städte zerstört und danach wieder von der Wüste zurückerobert. Die einzig verbliebene Ordnung boten Familien und Stämme.
Nach ihrem Sieg gegen italienische und deutsche Truppen besetzten 1943 die Briten das Land und installierten das Oberhaupt des Sanussi-Ordens als König. Idris I. kam bald in Verruf, seine Seilschaften aus der Cyrenaika zu bevorzugen und für die Masse seiner armen Untertanen in Tripolis nichts zu tun. 1969 stürzte Gaddafis »Bund freier Offiziere« den König in einem unblutigen Putsch, angeblich
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