Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
Wirtschaftskrise einen Denkzettel verpasst hat. Bis dahin hatten sich die politischen Nachwirkungen der Kernschmelze in der Wall Street und der folgenden Wirtschaftskrise noch in Grenzen gehalten – wobei man sagen könnte, der Fall Lehmans im September 2008 habe zu Obamas Wahl beigetragen. Jetzt sind die Flitterwochen endgültig vorbei. Symbolisch dafür steht die Tatsache, dass die Demokraten nicht einmal den Senatssitz für Illinois gewinnen konnten, den Obama nach seiner Wahl zum Präsidenten geräumt hatte. Drei Mal war Obama im Wahlkampf nach Chicago gereist, Michelle Obama war nach Milwaukee und Chicago gekommen und als Hauptattraktion bei der Wahlspendenparty für den demokratischen Kandidaten Giannoulias aufgetreten. Präsident und First Lady erschienen auch in der Wahlwerbung des Kandidaten. Am Wahltag selbst gab Obama zwei Chicagoer Radiosendern mit schwarzer Hörerschaft Interviews, in denen er zum Wählen aufrief. All das fruchtete nichts, aus offenkundigen Gründen. Der Präsident bleibt zwar ein hervorragender Spendensammler, doch was nutzt all das Geld, wenn man seine Leute nicht mehr an die Urnen locken kann?
Obamas Anhänger knabbern schwer an der Niederlage. Sie hoffen auf ein triumphales Comeback 2012 und eine sozialere Politik in der zweiten Amtszeit. Sie warten noch immer auf eine Wiederkehr des Barack Obama ihrer Träume. Man kann nur hoffen, dass die Niederlage bei den Wahlen 2010 mit dem in Europa noch weit verbreiteten Mythos aufräumt, Obama sei ein zweiter Franklin Delano Roosevelt, der daheim gegen die Hoovers und weltweit für die Werte des New Deal kämpft. Der allergrößte Teil des amerikanischen Rettungsgeldes ging an den Finanzsektor, die makroökonomische Politik ist rein außenpolitisch orientiert und zielt auf eine Abwertung des Dollars und den »Export amerikanischer Probleme ins Ausland«. Doch selbst der gelingt nur, wenn das Lohnniveau sinkt und die Produktivität steigt. Paul Krugman wies darauf hin, dass das 800-Milliarden-Dollar Konjunkturprogramm von 2009 lediglich ausglich, was durch Kürzungen auf staatlicher und lokaler Ebene an anderer Stelle wegfiel. Außerdem, kritisierte der Spekulant George Soros, fördere das Programm den Konsum, anstatt wie im New Deal durch Infrastrukturprojekte neue Arbeitsplätze zu schaffen. Mit welchen Taktiken – mit Duldung, Gegengeschäften, gegenseitiger Blockade oder öffentlichen Vorwürfen – auch immer Präsident und Kongress zukünftig um ihre Pläne kämpfen, wahrscheinlich werden zukünftige Maßnahmen zur Defizitsenkung aus dem gleichen überparteilichen Stoff gemacht sein wie Geithners Politik: Das Pensionsalter wird angehoben, staatliche Beihilfen werden gekürzt.
Dabei lässt sich recht leicht verstehen, was passiert ist. Obamas wirtschaftspolitische Bilanz spricht für sich. Iro nischerweise führte der unbedingte Wunsch Obamas, nicht zu enden wie Clinton mit seiner Gesundheitsreform 1992–1994, zu einer noch schlimmeren Wahlschlappe, als Clinto ns Demokraten sie 1994 erlebt hatten. Obama verschleu derte sein politisches Kapital von 2008 mit einer von Versicherungs- und Pharmakonzernen formulierten Gesundheitsreform, während gleichzeitig die Zahl der Arbeitslosen und der Zwangsversteigerungen in die Höhe schoss. Nach dem Verlust Massachusetts’ 2010 war Obama kurz so geschockt, dass er Volcker anwies, »die Banken hart anzufassen«. Goldman Sachs drohte er, er sei bereit zum Kampf. Doch der Effekt hielt keine zwei Wochen an; sein Gesetz zur Kontrolle des Finanzsektors ist eine einzige Ansammlung von Schlupflöchern.
Dem Präsidenten fiel wahrscheinlich ein Stein vom Herzen. Endlich brauchte er nach den desaströsen Zwischenwahlen keine Ausrede mehr, wenn er sich verhielt wie ein Republikaner. Endlich musste er nicht mehr um den heißen Brei herumreden. Der Chicagoer Machtapparat konnte anfangen, das Land so zu regieren, wie er seine Stadt regiert hatte. In Washington ging ohne Republikaner gar nichts mehr. Dieser »zentristische« Ansatz passte Obama und seinen Medien-Höflingen prima in den Kram. Obama durfte sich als Präsident der Versöhnung und des Ausgleichs präsentieren – und die gleiche Politik fortführen, die er auch mit Mehrheiten in beiden Kammern schon gemacht hatte. Im Vergleich zu den teilweise widersprüchlichen Zielen der Tea Party wirkte Obamas Politik geradezu vorbildlich stimmig. Gott sei Dank saß er im Weißen Haus und hielt die Barbaren draußen. Und sollte er einen neuen Krieg anzetteln,
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