Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
Prozent der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert). Walker ging in die Offensive und legte einen Gesetzesentwurf vor, der kollektive Tarifverhandlungen abgeschafft und die Gewerkschaften neutralisiert hätte. Doch damit löste er unbeabsichtigt einen Klassenkampf aus: 100000 Angestellte im öffentlichen Dienst und Studenten gingen, von den Protesten in Kairo inspiriert, in Madison auf die Straße. Sie besetzten das Kapitol, belagerten den Senat und verlangten die Abschaffung der Anti-Gewerkschafts-Gesetze. Der Rest des Landes staunte. Dennoch nützten die Proteste nichts. Der Vergleich mit Kairo war zwar naheliegend, hinkte aber. Auch wenn die Massen wütend waren, liefen ohne Unterstützung aus der Politik ihre Proteste ins Leere. Die Unschuld einer spontanen Bewegung wurde von Bürohengsten verdorben, die in einer primitiven Reaktion versuchten, die Demonstrierer in die traditionelle Mainstream-Politik einzubinden. Das Ergebnis: bedingungslose Kapitulation der Gewerkschaftsführer. Unfähig, sich von der hündischen Verbundenheit mit den Demokraten zu lösen, leckten sie die Hand, die sie schlug. Obama selbst hatte den Lehrergewerkschaften den Krieg erklärt, indem er Bundeshilfen nur an diejenigen Staaten aus zahlte, die Anti-Gewerkschafts-Gesetze erließen. Wenige Wochen später reagierte die Lehrergewerkschaft damit, dass sie Obama für 2012 Unterstützung zusagte. Kompromisse dieser Art finden sich in der Geschichte fast aller amerikanischen Gewerkschaften über die letzten 50 Jahre.
Walker war kein einsamer Pionier, denn schon kurze Zeit später ahmten ihn republikanische caudillos anderer Staaten nach, zum Beispiel Gouverneur Rick Snyder im benachbarten Michigan. Ihre demokratischen Kollegen, darunter Jerry Brown in Kalifornien und Andrew Cuomo in New York, nutzten die republikanischen Gesetze, um selbst Kürzungen durchzudrücken. Wenn die Angestellten des öffentlichen Dienstes nicht kuschten, drohten die Gouverneure mit Massenentlassungen. In der arabischen Welt hatten die verzweifelten und geknechteten Menschen ihre Häupter erhoben und todesmutig gekämpft, weil sie nicht mehr an die Allmacht ihrer Unterdrücker glaubten. Auch in Wisconsin erhoben sich Häupter, doch die Bewegung, die eine echte Antwort auf die Bedürfnisse der meisten Bürger hätte sein können, versandete, weil sie sich einer Tatsache nicht stellte: dass die Demokraten aufseiten ihrer Gegner standen. Nun ist die Unternehmerfreundlichkeit der Demokraten zwar altbekannt, aber aktuell ist die soziale Krise so schwer und der Kapitalismus so arrogant, dass die Menschen nach einer Alternative suchen, die jedoch selbst die progressivsten Demokraten nicht bieten können. Ein Systemwandel übersteigt schlicht ihre Vorstellungskraft. Paul Krugman hatte schon recht, als er in der New York Times schrieb: »Mr. Walker und seine Unterstützer versuchen, Wisconsin – und letztlich ganz Amerika – von einer funktionierenden Demokratie zu einer Oligarchie im Stile der Dritten Welt zu machen. Jeder Amerikaner, der glaubt, wir bräuchten ein Gegengewicht zur politischen Macht des großen Geldes, sollte sich auf die Seite der Demonstranten schlagen.« Das Problem besteht darin, dass beide politischen Parteien von ungezügeltem Kapitalismus beherrscht werden. Er dominiert sie und fürchtet keine Alternative, weil es – nach Auffassung fast aller Amerikaner – keine gibt.
Die Amerikaner haben sich schon von vielen Illusionen verabschiedet, doch das Prinzip, »für das kleinere Übel« zu stimmen, hält sich bei der progressiven Linken hartnäckig, trotz den gebrochenen Versprechen, insbesondere in Sa chen Bürgerrechte. Viele Wähler hatten ja gehofft, Obama würde einige der krasseren Maßnahmen Bushs rückgängig machen. Doch genau das Gegenteil passiert, wie die WikiLeaks-Affäre im Mai 2010 zeigte. Das Militär glaubte, der Irakveteran Private Bradley Manning hätte WikiLeaks brisante Dokumente zugespielt, und drehte ihn durch die Mangel. Und Obama? Brach er eine Lanze für die Mei nungsfreiheit? Nein, er beschuldigte Manning öffentlich eines Verbrechens – ohne Beweise und ohne Prozess. Da Manning des Hochverrats angeklagt ist, wäre es nur logisch, ihn hinzurichten oder so irre zu machen, dass er den Tod herbeisehnt. Dick Cheney zeigt sich vom Eifer des neuen Sheriffs beeindruckt: »Ich glaube, er hat gelernt, dass unsere Reaktion viel angemessener war, als er uns im Wahlkampf je zugestanden hat. Ich glaube, er hat aus Erfahrung
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