Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege
Mutter von drei Söhnen überbringen. Sie hatte ihre zwei Ältesten drei Monate an die Ostküste geschickt, damit sich eine »Krise in der Nachbarschaft« ein wenig abkühlte. Keine 24 Stunden nach ihrer Rückkehr wurden die zwei Brüder auf offener Straße erschossen. Ein dritter Bruder, gerade 18-jährig, bekam einen Schuss in die Lunge, überlebte aber. Bei seiner letzten Nachsorgeuntersuchung wurde er wegen Verdachts auf klinische Depression an die Sozialdienste verwiesen – dabei gab es zu jenem Zeitpunkt keinerlei ambulante Betreuungsmöglichkeiten.
Drogen und Alkohol erhöhen in vielen Bereichen die Risiken und werden in allen Schichten konsumiert. Doch Kokain spielt in unserer Stadt eine ganz besondere Rolle. Durch das Rauchen von Crack werden derart oft Asthma-Komplikationen ausgelöst, dass wir schon von »Crasthma« sprechen. Anfangs waren die Ärzte der Notaufnahme überrascht, als ein paar ältere Damen mit Brustschmerzen positiv auf Kokain getestet wurden. Es stellte sich heraus, dass sie aus Südostasien stammten und gerne ab und zu mal in geselliger Runde Opium rauchten. Als ihre Familien nach Oakland umzogen, stiegen sie auf Crack um, das aber viel schädlicher fürs Herz ist. Kürzlich sah ich eine 55-jährige Frau, deren Familie sie mitten in der Nacht auf dem Boden aufgefunden hatte. Ihr CT -Scan zeigte eine große Einblutung im Gehirn. Nach Jahren der Planung hatte sie endlich den Umzug ihrer Familie nach Mississippi organisiert. Dort, so hoffte sie, würden ihre heranwachsenden Enkelsöhne si cherer vor den Verlockungen des Ganglebens sein. Die ganze Nacht hindurch hatte sie das Haus geputzt und für die Abreise am nächsten Morgen gepackt – und das Kokain, das die Gehirnblutung verursachte, vermutlich als Muntermacher genommen.
Dann sind da noch die alltäglichen Notfälle: allergische Schocks, Herzinfarkte, Gehirnschläge, tödliche Lungen- und Hautinfektionen, Atem- und Herzstillstände. Dies sind, neben den größeren Traumata, die Fälle, für die eine Notaufnahme gedacht ist. Die meisten unserer Patienten sind allerdings gar keine Notfälle. Sie sind lediglich krank und können sonst nirgendwo hin. Der Bezirk betreibt zwar etliche Kliniken für ambulante Fälle, in denen einige der besten Ärzte arbeiten, die ich kenne. Doch als ich das letzte Mal nachfragte, musste man dort sechs Monate auf einen Termin warten. Manchmal gibt es gar keine Termine, nur ein Klemmbrett, auf das wir den Namen eines Patienten schreiben, um ihn für eine Behandlung in sechs Monaten vorzumerken.
Dann gibt es die Patienten, die zwar einen Termin in einer dieser Kliniken hatten, aber kein Telefon, sodass sie die Verschiebung ihres Termins nicht mitbekamen. Manche müssen mehrere Male umsteigen, um zur Klinik zu kommen, und verpassen den letzten Bus und versäumen so ihren Termin. Manche würden den Termin gern einhalten, vergessen ihn aber, weil sie zu viel getrunken haben. Andere wieder, vor allem Alte, gehen zu keinen Terminen am Spätnachmittag, weil sie Angst davor haben, nach Einbruch der Dunkelheit zurückfahren zu müssen. Einige Patienten benötigen bloß Rezepte, weil ihre Medikamente gestohlen wurden oder sie diese zu schnell verbrauchten, oder sie wollen Hustensaft mit Kodein, der eine beliebte Ersatzdroge geworden ist. Dann gibt es die, deren Leben derart kompliziert ist – wegen drei Jobs oder sechs Kindern –, dass sie es erst um drei Uhr morgens zum Arzt schaffen. Die kommen zu uns, denn wir haben immer offen und weisen niemanden ab.
Jede Schicht geht sofort unter Volldampf los. In einer 20 bis 30 Minuten langen Übergabe informieren uns die Kollegen über alle aktuellen Fälle. Wir besprechen den Zustand der Patienten und die zu treffenden Maßnahmen. Den Großteil der Schicht rennen wir herum, behandeln Patienten und klären ihren Krankenversicherungsstatus. Aber wir verhandeln auch mit Oberärzten und Aufnahmeärzten, regeln den Krankenwagen-Verkehr und lösen Mitarbeiterkonflikte. Offizielle Pausen gibt es nicht, Essen schnappen wir uns einfach, wenn es gerade passt. Ich habe stets ein schnurloses Telefon dabei, das unablässig klingelt. Ständig kommen neue Einweisungen oder Fragen. Notfallmediziner werden im Schnitt alle drei bis vier Minuten durch Anrufe in ihrer Arbeit unterbrochen – von Pflegern, Prak tikanten, Technikern, Pharmazeuten und Kollegen. Gelegentlich gelingt es mir eine ganze Schicht lang nicht, die Toilette aufzusuchen.
Krankenschwestern und -pfleger – frisch von
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