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Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege

Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege

Titel: Das Obama-Syndrom - leere Versprechungen, Krisen und Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tariq Ali
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der Schwesternschule und in engen pinkfarbenen Kitteln oder Ex-Militärsanitäter voller Tätowierungen – stehen in Krankenhäusern wie unserem an vorderster Front der medizinischen Versorgung. Sie bekommen die Patienten als Erste zu Gesicht und müssen entscheiden, wer sofort Behandlung be nötigt und wer warten kann. An ihnen entlädt sich der Frust der Patienten hauptsächlich. Bei deren Entkleiden finden Schwestern und Pfleger oft verheimlichte Verwundungen oder versteckte Waffen, Medikamente und Geld, Nadeln und Crackpfeifen. In der Notaufnahme dürfen auf eine Schwester maximal vier Patienten kommen, so schreibt das Gesetz in Kalifornien vor. Die Gewerkschaft achtet peinlich darauf, dass dieses Verhältnis eingehalten wird. Das Gesetz war zum Schutz von Patienten gedacht, doch es gibt eine ganz natürliche Spannung zwischen der Erfordernis, Patienten schnell und gleichzeitig sicher zu versorgen. Wegen des chronischen Pflegekräftemangels entstehen hier oft die Staus. Weil die Anweisungen der Ärzte nur von Pflegern ausgeführt werden dürfen, müssen Patienten häufig stundenlang warten, bis sie ein Bett oder nur schmerzstillende Mittel bekommen.
    Manche Ärzte regen sich über Patienten auf, die für Routinebehandlungen in die Notaufnahme kommen, doch die meisten akzeptieren das System so, wie es ist, wirbeln herum und empfinden sogar einen gewissen Stolz darauf, in diesem Chaos einen ruhigen Kopf zu bewahren und die letzte Sicherungsinstanz zu sein, die Menschen vor dem Absturz bewahrt. Wenn Patienten sonst keine Behandlung bekommen können, weisen wir sie an, zur Nachuntersuchung zu kommen, wenn wir wieder Dienst haben. Ich habe bei Patienten Diabetes festgestellt und die Behandlung eingeleitet und sie später auf Insulin umgestellt, bis sie endlich eine normale Arztpraxis aufsuchen konnten. Ich habe Therapien erster, zweiter und dritter Wahl gegen zu hohen Blutdruck angeordnet, ich habe drei Generationen einer Familie und deren Onkel behandelt. Unsere Stammkunden kennen wir beim Namen, wir besprechen unter Kollegen ihre letzten Besuche und informieren uns per E-Mail, wenn sie gestorben sind. Wir stellen also medizinische Grundversorgung bereit. Manche von uns genießen das sogar, und die Patienten brauchen uns. Aber richtig gut können wir sie nicht versorgen. Eine Notaufnahme ist einfach nicht für die Behandlung chronischer Krankheiten ausgelegt.
    Das Fehlen medizinischer Grundversorgung führt oft zu Notfällen, die nie hätten passieren dürfen. Hier in der Klinik sehen wir die schlimmsten Erscheinungsformen von Krankheiten: Ein eigentlich einfacher Fall von Diabetes, der mit Tabletten und einer Ernährungsumstellung behandelbar gewesen wäre, hat sich zur diabetischen Ketoazidose, einer lebensbedrohlichen Säurekonzentration im Blut, entwi ckelt, als wir den Patienten zu Gesicht bekamen. Wir sehen schlimme Infektionen, bei denen nur noch eine Amputation hilft – im Frühstadium hätten sie einfach mit Antibiotika bekämpft werden können. Wir bekommen Schlaganfälle herein, die durch rechtzeitige Senkung des Blutdrucks hätten verhindert werden können. Die Notaufnahme versucht jedem Patienten zu geben, was er braucht. Doch nicht geben können wir ihm: eine Telefonnummer, über die er Folgerezepte bestellen könnte, eine Praxis für die Nachbehandlung oder die Chance, über längere Zeiträume vom gleichen Arzt behandelt zu werden.
    Oft gelingt es uns in der Notaufnahme nicht, den Patienten vollständig zu untersuchen. Angesichts der zahllosen akuten Fälle können wir uns einfach nicht um den Wust an gesundheitlichen Problemen kümmern, die viele der Nicht-Notfallpatienten mit sich herumschleppen. In der Medizin sprechen wir von der »Hauptbeschwerde«, dem eigentlichen Grund für einen Arztbesuch. Das können Schmerzen im Bauchraum sein, ein verstauchter Fuß oder Brustschmerzen. Wenn Patienten anfangen, eine ganze Liste herunterzurattern, bitten wir sie gelegentlich, den Hauptgrund zu nennen, warum sie gekommen sind. Kürzlich übergab mir ein Kol lege einen »65-jährigen Mann, der seit zwei Wochen auf einem Auge nichts mehr sieht und der vor vier Tagen wegen Verstopfung da war. Jetzt wartet er auf einen CT -Scan, der zeigen soll, ob er einen Schlaganfall hatte.« Ich fragte, warum wir vier Tage zuvor nichts wegen des blinden Auges unternommen hatten, und erfuhr, dass der Mann es nicht erwähnt hatte. Als wir uns nach dem Grund dafür erkundigten, sagte der Patient, man habe ihn gebeten, nur ein

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