Das Opfer
damit. Noch heute. Genug mit diesem Scheiß.«
Sie ging zu ihrem Schreibtisch und nahm das Handy. Ohne vorher zu überlegen, was sie sagen sollte, wählte Ashley O’Connells Nummer.
Er meldete sich fast augenblicklich.
»Hallo, Liebste«, sagte er beinah beschwingt, auf jeden Fall aber in einem plump vertraulichen Ton, der sie in Rage versetzte.
»Ich bin nicht deine Liebste«, versetzte sie.
Er antwortete nicht.
»Hör zu, Michael«, begann sie. »Das muss ein Ende haben.«
Wieder sagte er nichts.
»In Ordnung?«
Schweigen.
Nach einer Weile war sie sich nicht einmal sicher, ob er noch in der Leitung war. »Michael?«
»Ich bin dran«, antwortete er kalt.
»Es ist vorbei.«
»Ich glaube dir nicht«, erwiderte er.
»Aus und vorbei.«
Wieder trat eine Pause ein, bevor er sagte: »Ich glaube, nicht.« Ashley wollte gerade einen neuen Anlauf nehmen, als sie merkte, dass er aufgelegt hatte.
Sie fluchte. »Du gottverdammter Scheißkerl!« Dann tippte sie seine Nummer noch einmal ein.
»Du willst es noch mal versuchen?«, meldete er sich diesmal. Sie holte tief Luft.
»Na schön«, antwortete Ashley steif. »Wenn du es mir unbedingt schwermachen willst, dann kann ich es auch auf die harte Tour.«
Sie hörte, wie er lachte, doch er erwiderte nichts.
»Okay«, sagte sie. »Wir treffen uns zum Lunch.«
»Wo?«, fragte er wie aus der Pistole geschossen.
Sie überlegte angestrengt, welcher Treffpunkt am besten war – ein Ort, an dem sie sich auskannte, wo reger Betrieb herrschte, wo man sie kannte und ihn nicht, ein Ort, an dem sie Heimvorteil genoss. Das alles würde ihr den nötigen Mut einflößen, ihn ein für alle Mal zum Teufel zu jagen.
»Das Restaurant im Kunstmuseum«, schlug sie vor. »Heute um eins, okay?«
Sie spürte förmlich sein Grinsen am anderen Ende der Leitung. Es jagte ihr eine Gänsehaut den Rücken herunter, als wäre durch die Ritzen im Fenster ein kalter Windzug hereingefegt. Der Vorschlag war wohl auf sein Einverständnis getroffen, denn er hatte aufgelegt.
»Dann geht es, wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte ich, »wohl vor allem um die richtige Einschätzung der Situation. Jeder hätte sehen müssen, worauf es hinauslief.«
»Ja«, räumte sie ein. »Das ist aber leichter gesagt als getan.«
»Finden Sie?«
»Ja. Wir machen uns gerne weis, dass wir eine Gefahr bereits im Voraus erkennen. Kunststück, einer Gefahr auszuweichen, wenn vorher sämtliche Alarmglocken schrillen und die Sirenen heulen. Wenn man nicht weiß, womit man es zu tun hat, sieht die Sache ganz anders aus.«
Sie überlegte einen Moment, während ich schwieg. Sie trank Eistee und hob ihr Glas an die Lippen.
»Ashley hat es gewusst.«
Wieder schüttelte sie den Kopf.
»Nein. Sicher, sie hatte Angst. Aber sie war auch so wütend, dassihre Sicht getrübt war, sie konnte nicht erkennen, in was für einer verzweifelten Lage sie sich befand. Und mal ehrlich, was wusste sie denn schon von Michael O’Connell? Herzlich wenig. Nicht annähernd so viel wie er über sie. Seltsamerweise hatte Scott als nicht unmittelbar Beteiligter besser begriffen, womit sie konfrontiert war, da er sich weit mehr von seinem Instinkt leiten ließ, besonders am Anfang.«
»Und Sally? Und ihre Lebensgefährtin, Hope?«
»Die hatte bis dahin noch nicht die Angst gepackt. Sollte aber nicht mehr lange dauern.«
»Und O’Connell?«
Sie zögerte. »Sie wussten es noch nicht. Da jedenfalls noch nicht.«
»Was?«
»Dass die Sache anfing, ihm richtig Spaß zu machen.«
9
Zwei unterschiedliche Treffen
Als Scott Ashley weder zu Hause noch per Handy erreichen konnte, trat ihm der Schweiß auf die Stirn, doch er redete sich ein, das hätte nichts zu bedeuten. Es war Mittag, sie war zweifellos unterwegs, und es wäre nicht das erste Mal, wenn seine Tochter das Handy zum Aufladen daheim gelassen hätte.
Und so sprach er ihr jeweils ein kurzes »Wollte nur mal hören, wie’s so läuft« auf die Mailbox, lehnte sich zurück und fragte sich, ob er Grund zur Sorge hatte. Als er merkte, dass sein Puls beschleunigt war, stand er auf und wanderte in seinem kleinen Büro auf und ab. Dann setzte er sich wieder hin und lenkte sich mit Erledigungen ab, beantwortete E-Mails von Studenten, druckte ein paar Essays aus. Er versuchte Zeit totzuschlagen, ohne zu wissen, wie viel Zeit ihm noch blieb.
Nicht lange und er saß wieder untätig in seinem Schreibtischsessel und wippte fast unmerklich vor und zurück, während in ihm
Weitere Kostenlose Bücher