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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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auf.
    Als es Mittag war, begab sie sich in die Cafeteria, setzte sich an einen kleinen Tisch und bestellte ein Glas überteuerten Sprudel, aber nichts zu essen. Sie hatte sich so in Stellung gebracht, dass sie Michael O’Connell sehen konnte, sobald er die Stufen zum Museum hochkam und durch die breiten Glastüren trat. Sie schaute auf die Uhr, stellte fest, dass es Punkt ein Uhr war, und lehnte sich mit der Gewissheit zurück, dass er sie nicht warten lassen würde.
    Sie merkte, dass ihr die Hände ein bisschen zitterten und ihr der Schweiß in die Achselhöhlen trat. Sie schärfte sich ein: keinen Kuss auf die Wange. Keinen Handschlag. Nicht den geringsten physischen Kontakt. Biete ihm einfach den Stuhl gegenüber an und mach’s knapp und bündig. Lass dich nicht aus dem Konzept bringen.
    Sie nahm einen Fünf-Dollar-Schein heraus – mehr als genug für ein einziges Glas Wasser – und steckte ihn in die Blazertasche, um ihn schnell herausziehen zu können. Für diese Vorsichtsmaßnahme klopfte sie sich innerlich auf die Schulter.
    Was noch?, überlegte sie. Nichts dem Zufall überlassen. Nachdem sie den Plan in Gedanken noch einmal durchgespielt hatte, fühlte sie trotz der Aufregung eine innere Leere.
    Sie sah durch die Spiegelglasfenster und rechnete jeden Moment damit, dass er erschien. Einige Paare traten in ihr Blickfeld, dann eine Familie, zwei Eltern, die ein gelangweiltes sechsjähriges Kind mitschleiften. Als Nächstes kam ein seltsam aussehendes älteres Männerpaar, das sich sehr langsam die breiten Stufen zum Museumseingang hinaufschob und wie auf Kommando gleichzeitig Pausen einlegte, bevor es sich an den weiteren Aufstieg begab. Sie suchte den Bürgersteig ab und blickte die ganze Straße hinunter. Von Michael O’Connell keine Spur.
    Um zehn nach wand sie sich unruhig auf ihrem Platz. Um Viertel nach kam der Kellner und fragte sie höflich, aber entschieden, ob sie ihre Bestellung aufgeben wollte.
    Um halb zwei wusste sie, dass er nicht kommen würde. Dennoch wartete sie.
    Um zwei legte sie die fünf Dollar auf den Tisch und ging.
    Sie sah sich ein letztes Mal um, doch Michael O’Connell war nirgends zu sehen. Mit einem dumpfen, leeren Gefühl im Magen begab sie sich wieder an ihren Arbeitsplatz. Als sie ihren Schreibtisch erreichte, griff sie schon nach dem Telefon, um ihn zur Rede zu stellen.
    Ihre Finger schwebten über dem Hörer.
    Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, dass er vielleicht einfach nur gekniffen hatte. Er hatte begriffen, dass sie ihn ein für alle Mal loswerden wollte, und beschlossen, sich die schlechte Nachricht nicht persönlich anzuhören. Vielleicht, dachte sie, hat er sich bereits aus meinem Leben verabschiedet. In dem Fall war der Anruf überflüssig und sogar kontraproduktiv.
    Sie wagte zwar kaum, an so viel Glück zu glauben, aber es war immerhin eine Chance. Die Vorstellung war zu verführerisch: mit einem Schlag frei.
    Ein wenig verunsichert, wie sie die Situation einzuschätzen hatte, kehrte sie an ihre Arbeit zurück und versuchte, sich mit dem Einerlei des Jobs abzulenken.
     
    Ashley machte freiwillig Überstunden.
    Es goss in Strömen, als sie das Museum verließ. Ein kalter Regen, der wütend auf den verlassenen Bürgersteig prasselte. Ashley zog eine Strickmütze über und die Jacke enger, bevor sie sich mit gesenktem Kopf auf den Heimweg begab. Vorsichtig ging sie die glitschige Museumstreppe zum Bürgersteig hinunter. Sie wollte gerade in die Straße einbiegen, als sie unwillkürlich zu einer Stelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite blicken musste, wo ein Neonschild sein schimmernd rotes Licht über das Pflaster warf und sich mit den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos mischte. Sie konnte nicht recht sagen, was ihren Blick magisch dorthin lenkte, doch die Gestalt, die sie sah, hatte etwas Gespenstisches.
    Halb im Licht und halb im Schatten stand Michael O’Connell da und wartete.
    Sie blieb abrupt stehen.
    Ihre Blicke trafen sich über die Straße hinweg.
    Er trug eine dunkle Wollmütze und einen trist olivfarbenen Parka im Army-Stil. Er wirkte einerseits anonym und versteckt, schien andererseits aber mit einer Intensität zu glühen, die sie sich nicht erklären konnte.
    Sie überkam eine Hitzewoge, und sie schnappte nach Luft, als ob es ihr plötzlich die Kehle zuschnürte.
    Er rührte sich nicht und gab abgesehen von diesem unverwandten Blick nicht zu erkennen, ob er sie auch nur erkannte. Ashley trat einen Schritt zurück. Sie

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