Das Opfer
seiner Freizeit hat er jede Website, jede Zeitung oder Zeitschrift durchgekämmt, um sich Anregungen zu holen, wie er den Leuten noch mehr Geld aus der Tasche ziehen konnte. Er hat ganze Aktenordner mit Zeitungsausschnitten angelegt, um immer auf dem neuesten Stand zu sein. Wissen Sie, was er immer gesagt hat?«
»Nein, was?«
»Man muss einen nicht erledigen, um ihn zu erledigen. Aber wenn man es wirklich will, dann kann man auch das. Und wenn du wirklich weißt, was du tust, kommt dir keiner drauf. Niemals.«
Das schrieb ich mir auf.
Als der Mann sah, wie ich mir Notizen machte, grinste er und nahm sich die hundert Dollar. Ich überließ sie ihm.
»Wissen Sie, was das absolut Idiotischste war?«
»Was?«
»Er wollte perfekt sein. Als ob er groß rauskommen wollte. Andererseits wollte er auch wieder anonym bleiben.«
»Als Kleinkrimineller?«, fragte ich.
»Nein, da liegen Sie falsch. Er wusste, dass er groß rauskommen würde. Er hatte Ehrgeiz. Er war süchtig danach, als wär’s ’ne Art Droge. Wissen Sie, wie das ist, ständig mit einem zusammen zu sein, der so was wie ein Junkie ist, nur dass er nicht Kokain schnieft oder sich Heroin reinjagt? Er war die ganze Zeit high mit irgendwelchen Plänen. Allzeit bereit für den großen Coup. Als ob der irgendwo da draußen nur auf ihn wartete und er ihn nur noch genauer orten müsste. Der Job hier war nur Zeitvertreib, kleine Zwischenstation auf seinem Weg nach oben. Dabei war es garnicht mal das Geld oder der Ruhm, was ihn reizte. War irgendwas anderes.«
»Sie haben sich von ihm getrennt?«
»Allerdings. Ich hatte keine Lust, mich jedes Mal, wenn er wieder was Neues ausgeheckt hatte, von ihm ausnehmen zu lassen wie ’ne Weihnachtsgans. Früher oder später würde er aus irgendwas richtig Kleinholz machen, Sie wissen schon – der Zweck heiligt die Mittel, wie man so sagt … das war O’Connell, wie er leibt und lebt.«
»Aber Sie wissen nicht …«
»Keine Ahnung, was danach aus ihm geworden ist. Hab jedenfalls genug zu Gesicht gekriegt, um ganz schön Angst zu bekommen.« Ich sah den Mechaniker an. Angst, hatte ich den Eindruck, war ein Wort, das normalerweise wenig in seinem Vokabular zu suchen hatte.
»Das verstehe ich nicht ganz«, hakte ich nach. »Er hat Ihnen Angst gemacht?«
Der Werkstattbesitzer nahm einen langen Zug von seiner Zigarette und formte Rauchkringel um seinen Kopf. »Sind Sie schon mal einem begegnet, der immer was anderes macht, als was er eigentlich macht? Weiß nicht, klingt vielleicht irre, aber so war O’Connell. Und wenn Sie ihn drauf angesprochen haben, egal auf was, dann hat er Sie einfach nur angestarrt, als wären Sie Luft und als würde er sich gerade etwas über Sie aufschreiben und in seinem Kopf abspeichern, weil er es eines Tages irgendwie gegen Sie verwenden will.«
»Auch gegen Sie?«
»Auf die eine oder andere Art. Er gehörte einfach zu den Typen, denen man nicht in die Quere kommen möchte. Ein bisschen beiseite stehen, das schadete nichts. Aber ihm in die Quere kommen oder ihm bei seinen Plänen dazwischenfunken … na ja, das ließ man besser bleiben.«
»War er gewalttätig?«
»Er war, was ihm gerade zupass kam. Vielleicht war das so unheimlich an ihm.«
Der Mann nahm noch einen tiefen Lungenzug. Ich stellte ihm keine weiteren Fragen, doch er fügte hinzu: »Wissen Sie was, Mr. Schriftsteller, ich hab eine Geschichte für Sie. Vor zehn Jahren hab ich hier mal richtig spät noch malocht, ich meine, bis zwei, drei Uhr nachts, da kommen zwei Kids reinmarschiert, und im nächsten Moment hab ich ’ne blitzende Neunmillimeter vor der Nase, und einer von den Jungs brüllt ›Scheißkerl dies‹ und ›Schwanzlutscher das‹ und ›Ich feuer dir ’ne Ladung in die Fresse, du alter Sack‹ und weiß Gott was noch für’n Bullshit, und ich hab wirklich gedacht, das war’s dann wohl, der macht Ernst, während sein Partner die Kasse ausräumt. Ich bin ja nicht sonderlich fromm, aber ich hab jedes Vaterunser und jedes ›Gegrüßet seist Du, Maria‹, das mir irgendwie in den Sinn gekommen ist, heruntergebetet, weil ich dachte, das ist mein Ende. Doch dann sind die beiden einfach abgezogen, fast ohne ein weiteres Wort, und haben mich da hinter der Kasse auf dem Boden liegengelassen, mit dem dringenden Bedürfnis, meine Unterwäsche zu wechseln. Sie verstehen?«
Ich nickte. »Ziemlich unangenehm.«
»Können Sie laut sagen, Sir, äußerst unangenehm.« Er lächelte und schüttelte den Kopf.
»Aber was hat
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