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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Sollten tatsächlich irgendwelche Gefühle im Spiel gewesen sein, so konnte sie sich nicht daran erinnern. Für sie war es eine explosive, rebellische Entladung gewesen, zu einem Zeitpunkt, als sie nach einem lautstarken, unschönen Bruch mit ihrem Freund aus dem vorletzten Studienjahr, an dem sie trotz einiger Auseinandersetzungen und trotz ihrer wachsenden Unzufriedenheit bis ins letzte Jahr festgehalten hatte, nicht eben wählerisch war. Ihre Unsicherheit wegen des bevorstehenden Abschlussexamens, des weiterführenden Studiums und ihrer Berufswahl belastete sie auf Schritt und Tritt. Sie hatte sich von ihren Eltern, ihren Freunden isoliert gefühlt. Alles in ihrem Leben war ihr als Zwang erschienen, in Schieflage geraten, als fehlte der rote Faden. Inmitten dieser Turbulenzen kam es zu der einen miesen Nacht mit O’Connell. Er war gutaussehend, verführerisch, anders als all die Studenten, mit denen sie in ihrer College-Zeit ausgegangen war, und sie hatte einfach übersehen, auf welch eigenartige Art und Weise er sie über den Tisch hinweg angesehen hatte, als wollte er sich jeden Zentimeter ihrer Haut ins Gedächtniseinprägen, und zwar nicht unbedingt aus romantischen Motiven.
    Sie schüttelte den Kopf.
    Hinterher waren sie einfach auf die Laken gesackt. Sie hatte das Gefühl gehabt, als schwankte das Zimmer ein wenig, und einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge gespürt. Sie hatte sich ein Kissen geschnappt und war in einen bleischweren Schlaf gesunken. Was hatte er getan?, überlegte sie. Er hatte sich eine Zigarette angezündet. Am Morgen war sie aufgestanden, ohne ihn noch einmal an sich heranzulassen. Sie hatte sich irgendeine Ausrede einfallen lassen, sie müsse pünktlich zu einem Termin, hatte ihm kein Frühstück angeboten oder auch nur einen Kuss gegeben, sondern war augenblicklich in die Dusche verschwunden, wo sie jeden Zentimeter ihres Körpers gründlich eingeseift und unter dampfend heißem Wasser abgespült hatte, als haftete ein ungewohnter Geruch an ihr. Sie hatte gehofft, er würde gehen, doch er war geblieben.
    Ashley versuchte, sich an die kurze Unterhaltung am Morgen danach zu erinnern. Es hatte ein unaufrichtiger Ton geherrscht, nachdem sie auf Distanz gegangen war, ihm die kalte Schulter zeigte und sich mit anderen Dingen beschäftigte, bis er sie schließlich unbehaglich lange schweigend angesehen, dann gelächelt und genickt hatte und nach einem wortkargen Abschied gegangen war.
    Und jetzt phantasierte er von Liebe, dachte sie. Wieso auf einmal?
    Sie sah ihn vor sich, wie er mit einem kalten Ausdruck im Gesicht durch die Tür verschwand.
    Bei dieser Erinnerung rutschte sie unbehaglich auf ihrem Stuhl hin und her.
    Die anderen Männer, die sie, wie kurz auch immer, gekannt hatte, waren entweder beleidigt, zuversichtlich oder auch miteinem unbeholfenen Macho-Gehabe nach einem One-Night-Stand von dannen gezogen. Er hatte einfach eiskalt geschwiegen und sich entfernt. Es schien, kam ihr jetzt in den Sinn, als hätte er gewusst, dass es nicht für lange war.
    Sie überlegte. Schlaf. Dusche. Viel Zeit, in der sie ihm den Rücken zugekehrt hatte. War der Computer an gewesen? Was hatte auf ihrem Schreibtisch herumgelegen? Ihre Kontoauszüge? Welche Nummern? Welche Passwörter? Was hatte er in dieser Zeit finden und stehlen können?
    Was hatte er sonst noch an sich genommen?
    Es war die nächstliegende Frage, die sie sich aber nicht ernsthaft zu stellen wagte.
    Einen Moment lang drehte sich wieder das Zimmer um sie. Dann stand Ashley auf und lief, so schnell sie konnte, in das kleine Badezimmer, wo sie sich über die Kloschüssel beugte und heftig erbrach.
     
    Nachdem sie Gesicht und Mund gespült hatte, zog sich Ashley eine Decke um die Schulter und setzte sich auf die Bettkante, um zu überlegen, was sie machen sollte. Sie fühlte sich wie ein gestrandeter Flüchtling, der tagelang auf rauer See umhergetrieben war.
    Doch je länger sie dasaß, desto wütender wurde sie.
    Wenn sie sich nicht völlig irrte, hatte Michael O’Connell nicht die geringsten Ansprüche auf sie. Er hatte kein Recht, sie zu belästigen. Seine Beteuerungen ewiger Liebe waren mehr als nur albern.
    Im Allgemeinen war Ashley ein verständnisvoller Mensch, der fast um jeden Preis Konfrontation und Auseinandersetzungen vermied. Aber dieser Blödsinn, ihr fiel kein besseres Wort dafür ein, nach nur einer Nacht, ging wirklich zu weit.
    Sie warf die Decke weg und sprang auf.
    »Verdammt noch mal«, rief sie. »Schluss

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