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Das Opfer

Titel: Das Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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rasante Fahrt, die sie von ihrem Verfolger entfernte. Doch egal, wie schnell der Zug fuhr – Ashley hatte begriffen, dass die Distanz, die er zwischen sie legte, trügerisch war. Und letztlich nicht existierte.
     

     
    Der Campus der Universität von Massachusetts-Boston liegt in Dorchester direkt neben dem Hafen. Die Gebäude auf dem Gelände sind so plump und trutzig wie eine mittelalterliche Festung, und an einem heißen Frühsommertag scheinen die braunen Klinkerwände und die grau betonierten Gehwege die Hitze aufzusaugen. Es ist ein offensichtlich stiefmütterlich behandeltes Lehrinstitut, das seine Pforten jenen öffnet, die Appetit auf einen zweiten Bildungshappen haben. Es besitzt das Einfühlungsvermögen eines Infanteristen, die Attraktivität eines Mauerblümchens, steht aber Gewehr bei Fuß, wenn man es am meisten braucht.
    Ich verlief mich in dieser Betonwüste und musste jemanden nach dem Weg fragen, bevor ich das richtige Treppenhaus fand, das zu einem schäbigen Aufenthaltsraum außerhalb der Cafeteria führte.Ich blieb einen Moment stehen, dann entdeckte ich Professor Corcoran, der mich aus einer der ruhigeren Ecken zu sich winkte.
    Wir machten uns kurz miteinander bekannt, ein Handschlag und ein wenig Small Talk über das für die Jahreszeit zu heiße Wetter. »Also«, sagte der Professor, während er sich setzte und einen Schluck Wasser nahm. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
    »Michael O’Connell«, antwortete ich. »Er hat vor ein paar Jahren zwei von Ihren Computerkursen belegt. Ich hatte gehofft, dass Sie sich an ihn erinnern können.«
    Corcoran nickte. »Ich entsinne mich tatsächlich an ihn«, erklärte er. »Normalerweise würde ich das nicht, und das spricht wohl an sich schon Bände.«
    »Inwiefern?«
    »In den letzten zwei Jahren waren Dutzende, nein, Hunderte von Studenten bei mir in denselben Kursen wie er. Eine Menge Klausuren und Referate, eine Menge Gesichter. Nach einer Weile verschwimmen sie zu einer einzigen Spezies – Blue Jeans, Baseballkappe falsch herum, zwei Jobs gleichzeitig, um sich während des zweiten Bildungswegs über Wasser zu halten.«
    »Und O’Connell …«
    »Nun, sagen wir mal, es überrascht mich nicht, dass jemand bei mir auftaucht, um mich über ihn auszufragen.«
    Der Professor war ein drahtiger, kleiner Mann, mit bifokaler Brille und schütterem, blassblondem Haar. Er hatte eine Reihe Kugelschreiber und Bleistifte in seiner Brusttasche und eine ramponierte, vollgestopfte braune Aktentasche aus Leinen neben sich stehen.
    »Wieso überrascht es Sie nicht?«
    »Eigentlich habe ich immer damit gerechnet, dass ein Kripobeamter hier auftauchen würde, um mich über O’Connell zu befragen. Oder das FBI, vielleicht auch ein Stellvertretender Bundesstaatsanwalt.Sie wissen, wer meine Kurse besucht? Studenten, die zu Recht davon ausgehen, dass die Kenntnisse, die sie bei mir erwerben, ihre finanziellen Aussichten deutlich verbessern werden. Das Problem ist nur: Je versierter die Studenten werden, desto besser begreifen sie auch, wie leicht man mit den Informationen Missbrauch treiben kann.«
    »Missbrauch?«
    »Eine höfliche Formulierung für das, was es in Wahrheit ist«, erklärte er. »Ich halte eine eigene Vorlesung über Gesetzesverstöße, aber trotzdem …«
    »O’Connell?«
    »Die meisten Kids, die sich, ähm, für die dunkle Seite entscheiden …«, begann er lachend, »na ja, die entsprechen ziemlich genau dem Bild, das man sich von ihnen macht. Unreife Computerfreaks und hochgradige Versager. Meistens machen sie ein bisschen Ärger, betätigen sich als Hacker, laden Videospiele herunter, ohne die Lizenzgebühren zu zahlen, stehlen Musikdateien oder machen sogar Raubkopien von Hollywood-Filmen, bevor sie als DVDs rauskommen, so was in der Art. Aber O’Connell war anders.«
    »Erklären Sie mir, wie
anders«
, bat ich ihn.
    »Er war unendlich gefährlicher und furchterregender.«
    »Inwiefern?«
    »Weil er im Computer genau das sah, was er ist, ein Werkzeug. Was für Werkzeuge braucht ein übler Bursche? Ein Messer? Eine Knarre? Ein Fluchtauto? Kommt ganz darauf an, was für ein Verbrechen man begehen will, nicht wahr? Ein Computer kann in den falschen Händen genauso verheerend sein wie eine Neunmillimeter, und bei ihm, das können Sie mir glauben, kann man weiß Gott von den falschen Händen sprechen.«
    »Was hat Sie zu diesem Urteil veranlasst?«
    »Ich wusste es vom ersten Moment an. Er gehörte nicht zu diesen etwas ungepflegten jungen Leuten,

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