Das Orakel der Seherin
Anrufbeantworter in unserem neuen Heim in Pacific Palisades. Wir bemühen uns stets, in Kontakt zu bleiben, das haben wir einander versprochen. In der Vergangenheit habe ich ihn einmal mitten in der Nacht ohne Erklärung verlassen, und ich habe versprochen, so etwas nie wieder zu tun.
Außerdem ist da noch meine Tochter, Kalika, von der wir nicht wissen, wann sie uns wieder heimsuchen wird. Seymour und ich stärken einander den Rücken, aber ich spüre genau, daß es nicht mehr lange dauern wird, bis ich Kalika wiedersehe. Irgend etwas in mir sagt mir, daß sie das Kind noch nicht gefunden hat, aber weiter nach ihm sucht. Möglicherweise ist meine Intuition, was Kalika angeht, auf das besonders enge Band zurückzuführen, das Mütter mit ihren Kindern verbindet. Dr. Seter und James fahren im Wagen vor mir auf der langen Straße nach Palm Springs. Sie fahren einen alten weißen Volvo, ich einen brandneuen roten Porsche. James sitzt hinter dem Lenkrad. Ich halte mich knapp fünfzehn Meter hinter ihnen. Sie wären überrascht, wenn sie wüßten, daß ich ihr Gespräch hören kann. Den ersten Teil des Weges haben sie geschwiegen; wir sind schon etwa eine Stunde unterwegs, als sie zu sprechen beginnen. Auf dem ersten Wegstück ist Dr. Seter hin und wieder eingenickt.
James: »Warum tun wir das alles?«
Dr. Seter: »Findest du, daß wir sie einfach ignorieren sollten?«
James: »Nein, ganz und gar nicht. Ich bin genauso neugierig wie du, was sie betrifft. Vergiß nicht, daß ich es war, der auf die Verabredung bestanden hat.
Aber ich denke, daß wir mehr über sie wissen sollten, bevor wir ihr die Schrift zeigen.«
Dr. Seter: »Welchen Schaden kann sie schon anrichten? Sie wird Stunden brauchen, um einen kleinen Teil der Hieroglyphen zu übersetzen, selbst wenn sie ihr Metier gut beherrscht.« Kurze Pause. Dann: »Sie muß älter sein, als sie aussieht. Man braucht Jahre, um diesen Text so gut lesen zu können wie sie.«
James: »Ich bin sicher, daß sie jünger wirkt, als sie ist. Erinnerst du dich, daß sie dir ihr Alter nicht genannt hat?«
Dr. Seter: »Was willst du damit sagen? Meinst du, daß es ihr gelungen ist, Suzamas Praktiken zu beherrschen und sich selbst jünger zu machen?«
James: »Das wäre zumindest möglich. Sie wußte genug über die Initiationszeremonie.«
Dr. Seter: »Genau das hat auch mich überrascht. Selbst in unserer Gruppe wissen nur wenige davon.« Wieder eine Pause. »Sie muß die Wahrheit sagen und tatsächlich im Besitz einer weiteren Schrift sein.«
James: »Das denke ich auch. Aber sie weicht uns aus, und ich vertraue ihr nicht. Ich möchte auf Nummer Sicher gehen, wenn wir ihr den Papyrus zeigen.«
Dr. Seter: »Natürlich. Du hast doch angerufen und ihnen gesagt, daß wir kommen?«
James: »Ja, die gesamte Gruppe wird anwesend sein.«
Dr. Seter: »Wirklich? Warum denn? Wir werden sie gewiß nicht alle brauchen. Ein Teil sollte längst auf dem Weg nach San Francisco sein.«
James: »Ich habe dir doch gesagt, daß ich diesem Mädchen nicht traue. –
Aber ich habe noch einen anderen Grund.«
Dr. Seter: »Welchen?«
James: »Ich frage mich, ob Alisa etwas über das Kind weiß.«
Dr. Seter: »Das sind doch wilde Spekulationen.«
James: »Da wäre ich mir nicht so sicher. Sie schien besonders darum besorgt zu sein, daß dem Kind nichts geschieht.« Schweigen. »Ich frage mich, ob sie etwas über die Dunkle Mutter weiß.«
Ich komme beinah von der Straße ab. Sie reden über Kalika!
Meine Tochter? Wußte Suzama bereits vor fünftausend Jahren, daß sie den Mächten des Bösen angehören würde?
Dr. Seter: »Den Eindruck hatte ich nicht.«
James: »Macht es dir etwas aus, wenn ich eine ganz absurde Vorstellung äußere?«
Dr. Seter: »Es ist eine lange Fahrt, und wir haben Zeit, alle Möglichkeiten durchzusprechen.«
James: »Was, wenn Alisa selbst für die Dunkle Mutter arbeitet?«
Dr. Seter lacht. »Sie scheint kaum der Typ dafür zu sein, meinst du nicht auch?«
James: »Überleg mal! Sie sieht aus wie eine Zwanzigjährige, aber sie hat das Wissen von jemandem, der dreißig Jahre Ägyptologie studiert hat. Auch ihre Art ist irgendwie merkwürdig. Achte mal darauf, wie sie deinen Blick fängt und anschließend Dinge sagt, denen du dich praktisch nicht mehr entziehen kannst.«
Dr. Seter lacht lauter. »Das ist mir noch nicht aufgefallen. Vielleicht kannst nur du dich ihr nicht entziehen!«
James: »Ich weiß nicht … Ich hoffe nur, daß wir sie nicht zu dem Kind
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