Das Orakel des Todes
und lassen Rache und Vergeltungsgelüste keimen. Nimmt man noch die allgemeine Anspannung hinzu, die durch den bevorstehenden Krieg, der Italia drohte, unterschwellig zu spüren war, so hatte man alle Zutaten für einen bürgerkriegsähnlichen Aufruhr zusammen, der jederzeit ausbrechen konnte – ausgelöst zum Beispiel durch einen Todesfall, von dem trotz seiner bizarren Umstände bislang noch nicht einmal bewiesen war, dass es sich um einen Mord handelte.
Ich bedeutete Hermes, zu mir zu kommen. „Hermes, bist du nüchtern genug, um noch ein bisschen herumzuschnüffeln?“
„Willst du etwa andeuten, dass ich betrunken bin?“, fragte er leicht torkelnd.
„Aber nein. Trotzdem solltest du deine Weinzufuhr vielleicht vorübergehend etwas drosseln. Wir müssen noch mehr in Erfahrung bringen. Ich weiß, dass Pompeius in Campania ziemlich mächtig ist. Er hat viele seiner Veteranen hier angesiedelt. Finde heraus, wie die Einheimischen zu Caesar stehen und wie es in dieser Gegend um die Kräfteverhältnisse bestellt ist.“
Er zog ab, um weiter herumzuschnüffeln und zweifellos auch, um weiter zu trinken. Die Besiedlung Campanias war ein heikles Thema gewesen, über das im Senat viel gestritten worden und das jahrelang Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen gewesen war. Als Pompeius das Land für seine Veteranen beanspruchte, wehrten seine Feinde im Senat sich heftig dagegen. Zum einen, weil sie das Land für sich selber haben wollten, zum anderen, weil sie verhindern wollten, dass Pompeius sich mit der Ansiedelung seiner Soldaten in unmittelbarer Nähe Roms eine starke Machtbasis verschaffte. In jenen Tagen waren Pompeius und Caesar noch Freunde gewesen. Pompeius war mit Caesars Tochter verheiratet, und Caesar hatte die Ansiedlungswünsche Pompeius' nach Kräften unterstützt. Irgendwann waren Pompeius' Pläne abgesegnet worden, und jetzt war die ganze Gegend mit Veteranen bevölkert, von denen jeder seine Rüstung über der Feuerstelle hängen hatte und bereit war, auf Pompeius' Aufforderung zu den Adlern zu eilen.
Genau genommen tobte der gegenwärtige Streit zwischen Caesar und dem Senat, aber in Campania zählte der Senat nicht viel. Hier verlief die Linie zwischen den Anhängern der jeweils gerade mächtigen Männer, und in jenem Jahr war niemand mächtiger als Caesar und Pompeius. In dieser Gegend, die erst seit zwei Generationen unter römischer Kontrolle stand, waren Loyalitäten nichts Unveränderliches, die Leute waren offen für jegliche Art der Beeinflussung. Schließlich kehrte Hermes zurück.
„In der unmittelbaren Umgebung gibt es nicht viele von Pompeius' Männern. Die meisten haben sich nördlich von hier angesiedelt. Die wenigen, mit denen ich geredet habe, scheinen sich weder für Apollo noch für Hekate übermäßig zu interessieren.“
„Das ist zumindest mal eine gute Nachricht. Noch eine Gruppe, die in dieser Mordgeschichte Partei ergreift, wäre wirklich zu viel gewesen.“
Die Anwesenheit all dieser Pompeianer hatte sich während meines ansonsten angenehmen Aufenthalts in Campania als ziemlich störend erwiesen. Pompeius hatte versichert, dass er nur mit dem Fuß aufstampfen müsse und im Nu eine Armee zusammenhabe, falls Caesar sich als unbequem erweisen sollte. Es gab Männer im Senat, meist von der hartleibigen Aristokratenfraktion, die ihn genau dazu drängten. Die übrigen Mitglieder des Senats setzten darauf, mit Caesar zu verhandeln. Doch für Anhänger einer moderaten Linie oder gar solche, die neutral bleiben wollten, waren die Zeiten schlecht. Wir steuerten unweigerlich auf eine weitere Epoche der Kriegsherren zu. So traurig es klingt - die römischen Soldaten jener Zeit fühlten sich vor allem ihren Feldherren verpflichtet, nicht Rom. Für einen Feldherrn, der ihnen ständig Siege und reiche Kriegsbeute bescherte, waren sie bereit, beinahe alles zu tun.
Pompeius' Veteranen waren solche Männer, aber ich hielt es für unwahrscheinlich, dass sie Caesars Truppen besiegen konnten, die in Gallien über Jahre hart gekämpft hatten. Pompeius' Veteranen wurden allmählich alt und waren lange aus der Übung.
„Da sind doch diese beiden Legionen in dem Ausbildungslager in der Nähe von Capua“, grübelte ich laut.
„Was haben die denn mit dem ermordeten Priester und den Problemen hier unten im Süden zu tun?“, wollte Hermes wissen.
„Was? Ach, gar nichts. Der Gedanke an Pompeius' Veteranen hat mich nur ins Grübeln gebracht - zu wem unsere Soldaten eigentlich stehen, und
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