Das Orakel des Todes
dem Gold und allem Drumherum. Einige der Eier offenbarten beim Aufschlagen jene kleinen Geschenke, auf die wohlhabende Gastgeber großen Wert legten: Parfüme, Perlen, Juwelen, Goldketten und so weiter. Während die Damen entzückt juchzten, zermarterte ich mir vergeblich das Hirn, wie die kleinen Präsente in die Eierschalen gelangt waren. Die Schalen waren völlig unversehrt und wiesen weder ein Loch noch einen Riss auf. Vielleicht hatten sie den Hühnern und Enten die kleinen Kostbarkeiten einfach ins Futter gemischt, und dies war das Ergebnis.
Es folgten weitere gehaltvolle Gänge, alle begleitet von exzellenten Weinen. Zwischen den Gängen gab es unterhaltsame Einlagen, deren Abfolge Pedianus festlegte. Es wurden Gedichte rezitiert, Tänze aufgeführt, und wir bewunderten Jongleure und Seiltänzer. Am erstaunlichsten war eine Frau, die auf den Händen balancierte und gleichzeitig mit den Füßen mit Pfeil und Bogen schießen konnte, und das mit äußerster Treffsicherheit.
In früheren Generationen war es in Campania üblich gewesen, bei festlichen Banketten Gladiatoren gegeneinander antreten zu lassen. In einigen Häusern wurde der Brauch immer noch gepflegt. Aber ich war seit jeher der Meinung gewesen, dass Blut und Essen nicht harmonieren. Für ein blutiges Gemetzel boten die Munera das angemessene Forum. Zum Glück schien unser Gastgeber meine Meinung zu teilen.
Wir redeten eine Weile über dies und das, über die bevorstehenden Rennen, Ereignisse im Ausland, über die jüngsten Omen und so weiter. Julia bekam Gitiadas, den modisch zerschlissen gekleideten ortsansässigen Philosophen, dazu, seine Theorie darzulegen, nach der die Welt rund war wie ein Ball, eine im Grunde recht interessante Hypothese, wenn sie nicht so absurd gewesen wäre. Er faselte irgendetwas von einem runden Schatten, der während einer Mondfinsternis auf den Mond geworfen worden sei, was natürlich absoluter Schwachsinn war.
„Praetor“, fragte schließlich die gut betuchte Porcia, „kommst du mit den Ermittlungen in dem Mord an dem Priester voran?“ Sie schob sich eine honiggetränkte Feige in den Mund, was ihr Mehrfachkinn zum Schwabbeln brachte.
„Die Sache verwirrt mich zugestandenermaßen“, entgegnete ich. „Der Priester ist tot, die übrigen Priester des Apollo sind verschwunden, und die Anhänger der Hekate können oder wollen nicht helfen. Die größten Kopfschmerzen bereitet mir jedoch herauszufinden, wie er überhaupt in den Fluss gekommen ist.“
„Praetor“, meldete sich unser Gastgeber zu Wort, „es kursieren die wildesten Gerüchte. Von allen Anwesenden hier waren nur du und deine Frau tatsächlich vor Ort, als die Leiche aufgetaucht ist. Vielleicht könntest du uns ja mal berichten, was eigentlich genau vorgefallen ist.“
„Selbstverständlich. Allerdings kann ich euch nicht sagen, was genau vorgefallen ist, sondern nur, was ich gesehen habe.“ Auf diese Feststellung hin sah ich den Philosophen Gitiadas zustimmend nicken. Also erzählte ich ihnen unter vielleicht etwas übertriebener Ausmalung der schauerlichen Details, was ich gesehen und gehört hatte, und bemühte mich, die Abendrunde möglichst gut zu unterhalten. Danach gab Julia zum Besten, wie sie und die anderen Frauen das Ganze erlebt hatten. Sie hob mit deutlich mehr Ehrfurcht die Heiligkeit des Ortes hervor und betonte, welchen Respekt die Umgebung und das unheimliche Orakel ihr und den anderen Frauen eingeflößt hatten. Einige der Gäste hatten dem Orakel ebenfalls schon einen Besuch abgestattet und bekräftigten, dass sie genau die gleichen Erfahrungen gemacht hatten, ohne natürlich eine Leiche entdeckt zu haben.
„Du hast eine ungewöhnlich klare Antwort von dem Orakel bekommen“, stellte die schöne Sabinilla fest, „auch wenn sie widersprüchlich zu sein scheint.“ Sie trug eine weißblonde Perücke, die nur aus germanischem Haar hergestellt worden sein konnte. Ihr Gewand war aus durchsichtigem koischem Tuch, und wie sie sich da auf ihrer Kline räkelte, sah sie aus wie eine knochenlose Katze. „Ich habe das Orakel gefragt, ob mein Mann sich von seiner Krankheit erholen würde, und die Antwort lautete: >Folgt der Sonne zum Badebecken des Vulcanus.< Später erzählte mir ein Arzt, dass wir, wenn wir nach Westen bis Sicilia gereist wären, auf eine heilende heiße Quelle am Fuße des Ätna gestoßen wären, in der mein Mann womöglich Heilung gefunden hätte, doch zu jenem Zeitpunkt war er bereits tot. Somit hat mir der Rat des
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