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Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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vorgeladen zu werden.“ Dafür hatte ich Verständnis. Ein Sklave darf vor Gericht nur aussagen, nachdem er gefoltert wurde. Es ist keine ernste Sache, aber gewiss auch keine Erfahrung, die man sich freudig herbeisehnt.
    Die sonnige Porcia trat vor den jungen Sextus Lucretius Vespillo und tätschelte ihn unterm Kinn. „So so, und dieser Bursche hatte also das gewisse Etwas, dich zum Reden zu bringen. Kann ich ihn mir vielleicht mal ausleihen, sobald du ihn nicht mehr brauchst, Praetor?“ Alle lachten, wenn auch ein wenig nervös. Vespillo lief knallrot an.
    „Wie lange arbeitest du schon hier im Tempel?“, fragte ich das Mädchen.
    „Etwa zwei Monate.“
    „Und wer war dein früherer Herr?“ „Aulus Plantius, ehrwürdiger Praetor.“
    Duronius meldete sich zu Wort. „Plantius ist ein reisender Sklavenhändler, der zwei- oder dreimal im Jahr in unserer Gegend vorbeikommt. Ich erinnere mich, dass er vor etwa zwei Monaten hier war. Er handelt mit hoch qualifizierter Ware. Ich habe ihm einen Koch abgekauft.“
    „Verstehe. Vielleicht muss ich dir später noch weitere Fragen stellen, Mädchen. Verschwinde also nicht, und halte dich bereit.“
    „Wohin sollte ich schon gehen, Praetor? Ich gehöre dem Tempel.“
    „So ist es. Sieh einfach zu, dass du nicht an jemand anders verkauft wirst! Und jetzt“, wandte ich mich an meine Begleiter, „sehen wir uns mal diesen neuen Tunnel an.“
    Ich trat vorsichtig an den Rand der Öffnung. Im Licht der Lampen war eine steile Treppe zu sehen, die in die Dunkelheit hinabführte. „Gebt mir eine Fackel! Fürs Erste begleitet mich nur Hermes.“ Hinter mir erhob sich enttäuschtes Gegrummel. Derartige Missmutsbekundungen waren mir wohl bekannt. Zum Glück trug ich nicht meine offizielle Toga. In jüngster Zeit war bei abendlichen Festgelagen die Synthesis in Mode gekommen, und dieses leichte Kleidungsstück ist für das Hinabsteigen steiler Treppen viel besser geeignet. Ich überlegte, ob ich sie mir einfach ausziehen sollte, doch die Würde meines Amtes verbot mir, mit nichts als einer Tunika am Leib herumzulaufen.
    Ich folgte Hermes die Treppe hinunter und inspizierte in dem rauchigen, schummerigen Licht der Fackel die Wände und die Decke. Was Steinarbeiten anging, war ich kein Experte, doch alles sah genauso aus wie in dem Tunnel, der zur Kammer des Orakels hinabführte. Ein Unterschied allerdings fiel mir auf: Es gab keine Nischen für Lampen. Dieser Tunnel war nicht für regelmäßigen rituellen Gebrauch vorgesehen, dachte ich. Wozu aber diente er dann?
    Ohne die Zeremonie, die Sprechgesänge, den Rauch und all das andere Brimborium meines letzten Ausflugs in die Unterwelt war dieser nicht annähernd so unheimlich. Trotzdem fühlte ich mich angesichts der beklemmenden Enge unbehaglich. Ich weiß nicht warum, und es gab keinen wirklichen Grund, aber ich hatte Schwierigkeiten zu atmen. Irgendwie schien das Gewicht der Felsmassen mich niederzudrücken. Ich hätte nie Minenarbeiter werden können.
    Ein schwacher Luftzug ließ die Fackel leicht flackern, der Hauch kam von unten. Der Geruch der Fackel wurde überlagert von einem unangenehmen, mir allzu vertrauten Gestank: Es roch nach Blut und Tod. Unter all diesen Geruchsnuancen erkannte ich noch eine weitere: Wasser. Ich hatte so etwas erwartet, und die Bemerkungen des Philosophen beim Abendessen hatten ebenfalls darauf hingedeutet.
    Während wir die Treppe hinab stiegen, versuchte ich, mir die Aufteilung des Doppeltempelgeländes vor Augen zu führen. Vor allem interessierte mich, ob und inwieweit dieser Tunnel parallel zum Orakeltunnel verlief. Er schien vor allem wesentlich steiler und verlangte deshalb eine Treppe.
    Nach einem, wie mir schien, nicht enden wollenden Abstieg erreichten wir schließlich eine große Kammer. Ich hörte Wasser rauschen, und in der Kammer hing feiner Nebel, der jedoch längst nicht so dicht war wie in der Kammer des Orakels. Die absolute Finsternis schluckte das Licht von Hermes' Fackel. „Da liegen sie“, sagte er.
    Er stand neben einem runden Loch im Boden, das einen Durchmesser von etwa fünf Fuß hatte. Es handelte sich um ein exquisit gearbeitetes Mauerwerk mit einem leicht erhöhten Rand rundherum. Das Rauschen und der Nebel stiegen aus diesem Loch auf. Ordentlich aufgereiht lagen vor dem Loch fünf weiß gewandete Leichen.
    „Wurden sie von irgendjemandem berührt?“, fragte ich.
    „Wir haben sie exakt so vorgefunden. Wie aufgebahrt für eine Beerdigung. Hat irgendwie eine

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