Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Orakel des Todes

Das Orakel des Todes

Titel: Das Orakel des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
Vom Netzwerk:
durch dieses Loch in den Fluss wirft.“ Sie ging um die Leichen herum, trat an den Rand der Öffnung und spähte hinein. In jenen Tagen ließen sich römische Damen von ein paar Leichen nicht übermäßig beeindrucken, sie waren durch die chaotischen Zustände und die ständigen Kämpfe in Rom einiges gewohnt. Heutzutage sind sie etwas zarter besaitet. Angesichts der Ruhe und Friedfertigkeit, die der Erste Bürger durchgesetzt hat, sind sie erbärmlich zimperlich geworden. Ich habe schon Patrizierinnen gesehen, die beim Anblick eines sterbenden Gladiators kreideweiß geworden sind.
    „Vielleicht wurde er gar nicht in das Loch geworfen“, wandte Gitiadas ein. „Er könnte auch hineingesprungen sein, weil er hoffte, damit dem Schicksal dieser fünf hier zu entkommen.“
    „Eine berechtigte Vermutung“, stimmte ich zu.
    „Da wäre ich mir nicht so sicher“, widersprach Julia. „Sextus Vespillo, bring mir die Fackel!“ Auf ihre Anweisung kniete sich der junge an den Rand der Öffnung und leuchtete hinein. „Der Fluss fließt nur ein paar Fuß unter uns“, berichtete sie. „Die Strömung scheint ziemlich heftig zu sein. Meiner Meinung nach kann die Orakelkammer nur ein paar Schritte von hier entfernt sein. Trotzdem war Eugaeon mausetot, als er in unserer Mitte auftauchte.“
    „Ebenfalls eine berechtigte Feststellung“, sagte ich nachdenklich. „Doch in einem hatte Gitiadas Recht: Er hat darauf hingewiesen, dass es irgendwo in der Nähe der Kammer einen weiteren Zugang zu dem Fluss geben müsse, da das Wasser sonst nicht so sprudeln könne. Meine Frage lautet nun: Hat irgendjemand von euch je etwas von diesem zweiten Tunnel gehört, sei es aus alten Erzählungen oder aufgrund irgendwelcher Gerüchte? Ich kann nicht recht glauben, dass der Orakeltunnel zur Styx so berühmt sein soll und dieser hier vollkommen unbekannt.“ Die Einheimischen sahen einander an und zuckten mit den Achseln. Sie waren keine Hilfe. Unser Gastgeber hatte zuvorkommenderweise ein paar kräftige Sklaven mitgebracht, die große Weinkrüge trugen. Andere hatten Becher dabei, die jetzt von Mädchen herumgereicht wurden, so dass wir bald um die Leichen herumstanden und wie Gäste auf einem Botschafterempfang exzellenten Jahrgangswein schlürften.
    „Praetor“, wandte sich Hermes an mich, „willst du die Leichen hier untersuchen, oder soll ich sie hinauftragen lassen, damit du sie dir nach Sonnenaufgang bei Tageslicht ansehen kannst?“
    „Lass sie hinaufbringen“, erwiderte ich. „Fackellicht eignet sich nicht für eine gründliche Untersuchung.“ Das und meine alternden Augen, dachte ich bedrückt. Ich näherte mich meinem vierzigsten Lebensjahr.
    Hermes stieg nach oben, um ein paar Sklaven zu holen. Als er kurz darauf mit ihnen zurückkam, wurde es in der Kammer ziemlich eng. Die Fackeln und Lampen ließen die Luft schon knapp genug werden, so dass wir den Ort bereitwillig räumten. Wieder draußen atmeten alle erleichtert auf und holten tief Luft.
    „Hermes“, sagte ich, „morgen früh möchte ich, dass du als Erstes den Vorsteher der örtlichen Vereinigung der Steinmetze ausfindig machst und ihn zu mir bringst.“
    „Warum denn?“, wollte Hermes wissen.
    „Damit er mir ein paar Fragen beantwortet. Und mit Iola will ich ebenfalls reden.“ Danach wandte ich mich den anderen zu. „Nun hat die Geschichte doch eine ziemlich hässliche Wendung genommen. Solange es so aussah, als hätten die anderen Apollopriester Eugaeon auf dem Gewissen, war die Lage unter Kontrolle. Es hätte sich ja um irgendeine Art persönlicher Rache handeln können. Doch da wir jetzt wissen, dass sie alle ermordet wurden, werden sich die rivalisierenden Gruppen gegenseitig beschuldigen, und das könnte dazu führen, dass bald die ganze Gegend in Aufruhr ist.“
    „Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie nicht ermordet wurden, Praetor“, wandte Gitiadas ein.
    „Wie bitte? Hättest du vielleicht die Güte, mir zu erklären, wie ich das verstehen soll?“
    „Wir haben alle gesehen, wie klein und eng der Raum da unten ist und wie schnell durch die Fackeln und unser Atmen die Luft knapp wurde. Vielleicht haben sie eine Zeremonie vollzogen, bei der giftige Substanzen verbrannt wurden. Es hat schon Fälle gegeben, bei denen Leute in einem kleinen Raum durch ein schlichtes Kohlenfeuer erstickt sind. Eugaeon könnte in das Loch gefallen sein, als er bewusstlos wurde, und so in der Kammer des Orakels gelandet sein.“
    „Aber für eine derartige

Weitere Kostenlose Bücher