Das Orakel des Todes
Raubüberfällen, und schließlich kann eine Tötung auch Folge eines Unfalls sein, etwa wenn ein Faustschlag, der nur als Züchtigungsmaßnahme gedacht war, mit einem gebrochenen Genick oder einem zerschmetterten Schädel endet. Und so könnte ich endlos fortfahren, die Fülle möglicher Mordmotive ist ein abendfüllendes Thema.“
„In dem Fall“, empfahl Gitiadas, „solltest du alle Motive ausschließen, die in dem vorliegenden Mord eindeutig nicht in Frage kommen. Des Weiteren wäre zu klären, wie der Mord begangen wurde: mit einer Waffe oder durch Ausnutzung einer günstigen Gelegenheit.“
„Als Mordwaffe wird alles eingesetzt, von Schwertern bis hin zu Nachttöpfen. Außerdem Dolche, Würgschrauben, Speere, Ziegelsteine, Knüppel - ich habe sogar eine Frau kennen gelernt, die ihre Opfer mit ihrem eigenen Haar stranguliert hat. Dies ist jedoch meines Wissens der einzige Fall, bei dem die Tatwaffe ein heiliger Fluss war.“
„Falls er überhaupt ertränkt wurde“, wandte Julia ein. „Noch ist nichts bewiesen. Wir wissen nicht einmal, ob er tatsächlich ermordet wurde oder nur tödlich verunglückt ist.“
„Im Grunde wäre ich sehr geneigt zu glauben, dass er in Folge eines Unfalls gestorben ist, wenn auch eines ziemlich bizarren, wäre da nicht ein entscheidender Fakt: das Verschwinden der anderen Priester. Das riecht für mich nach einer schmutzigen Geschichte.“
„Hat sich eigentlich schon mal einer von euch gefragt“, meldete sich der Dramatiker zu Wort, „warum der oder die Täter für ihren Mord ausgerechnet einen Tag ausgewählt haben, an dem ein römischer Praetor das Heiligtum besucht hat?“
„Und auch noch dazu einer, der als erfolgreicher Aufklärer von Kriminalfällen bekannt ist“, fügte Duronius hinzu. „Bravo. Exzellente Feststellungen“, kommentierte Gitiadas. „Was sagt der Praetor zu diesen Einwürfen?“ „Sokratische Methode, was?“, entgegnete ich, um ihn wissen zu lassen, dass ich in philosophischen Angelegenheiten nicht gänzlich unbedarft war. Ich dachte über die Frage nach, der in der Tat eine bestechende Logik zu Grunde lag. „Zunächst einmal wussten sie nichts von unserem Kommen. Der Vorschlag für den Besuch wurde im Laufe einer Unterhaltung geboren, und wir sind unverzüglich aufgebrochen. Der Mord hingegen ist vermutlich schon vor Iängerer Zeit geplant worden, und der Zeitpunkt für seine Durchführung stand ebenfalls fest. Wahrscheinlich konnten der oder die Täter nicht von ihrem Plan abweichen.“
„Klingt logisch. Und das plötzliche Auftauchen der Leiche im Fluss? Glaubst du, das war beabsichtigt oder ein Unfall?“
„Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand, der einen lang, geplanten Mord begeht, es darauf anlegt, das Opfer direkt vor unserer Nase anspülen zu lassen“, erwiderte ich.
„Da hatte die Göttin ihre Finger im Spiel“, stellte Porcia im Brustton der Überzeugung fest. „Sie war erzürnt, dass es jemand gewagt hat, ihren heiligen Fluss zu verunreinigen. Deshalb ließ sie die Leiche direkt vor dem Praetor und seinem Gefolge an die Oberfläche schwemmen. Sie will, dass du die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehst, Praetor.“
Ich wollte sie gerade dafür zurechtweisen, dass sie schon wieder die Götter ins Spiel brachte, doch dann sah ich Julia zustimmend nicken und hielt meine Zunge im Zaum.
„So ein Unsinn!“, kam mir Sabinilla zu Hilfe. „Die Götter mischen sich nicht in so unbedeutende Angelegenheiten der Menschen wie einen einfachen Mord, es sei denn, es handelt sich um Vatermord, und selbst da hätte ich meine Zweifel. Ich habe ein halbes Dutzend meiner Nachbarn in dringendem Verdacht, ihre Väter ins Jenseits befördert zu haben, und sie erfreuen sich allesamt bester Gesundheit. Es ist, wie der Praetor bereits sagte - die Leute haben keine Lust, so lange auf ihr Erbe zu warten.“ In diesem Moment fiel mir zum ersten Mal die unaufdringliche Eleganz ihres Schmucks auf. Im Gegensatz zu den meisten campanischen Frauen legte sie offenbar keinen Wert darauf, sich mit Unmengen von Gold zu behängen und mit wertvollen Steinen und Perlen zu protzen. Stattdessen trug sie Armreife, Ohrringe und eine Halskette aus Bronze. Es waren alte etruskische Schmuckstücke, mit winzigen Bronzeperlen verziert, die so eng aneinander gesetzt wurden, dass sie dem Geschmeide eine exquisite Textur verliehen. Wie es heißt, hatten nur Kinder so ein feines Tastempfinden, dass sie die Bronzeperlen zum Verlöten an Ort und Stelle setzen
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