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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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kleines samtüberzogenes Etui, so ähnlich wie ein Brillenetui.
    Sie nahm es und klappte es auf.
    Du hast allerdings in Kairo gekämpft, dachte sie, als sie das Eiserne Kreuz zweiter Klasse mit der Gravur – 10. Juni 1945 – sah. Nicht alle hatten es bekommen; nur die besonders Tapferen. Was du wohl getan hast… damals warst du erst siebzehn.
    Joe stand jetzt unter der Tür und sah zu ihr herüber. Sie zuckte schuldbewußt zusammen. Aber er schien nicht verärgert. »Ich hab es mir gerade angesehen«, sagte Juliana. »Ich hab noch nie eines gesehen. Hat Rommel es dir selbst angesteckt?«
    »General Baierlein hat sie verteilt. Rommel war damals schon nach England versetzt worden, um dort Schluß zu machen.« Seine Stimme war ruhig, aber seine Hände hatten bereits wieder jenes seltsame Kratzen an seiner Kopfhaut begonnen, jene kämmende Bewegung, bei der es sich anscheinend um einen chronischen Nerventick handeln mußte.
    »Erzählst du mir davon?« fragte Juliana, als er wieder ins Badezimmer zurückging und sich weiterrasierte.
    Beim Rasieren und anschließend, während des Duschens, erzählte ihr Joe Cinnadella ein wenig; freilich war es nicht die Art von Bericht, die sie gerne gehört hätte. Seine zwei älteren Brüder hatten im Äthiopien - Feldzug gedient, während er als Dreizehnjähriger einer faschistischen Jugendorganisation in Mailand, seiner Heimatstadt, angehört hatte. Später hatten sich seine Brüder einer berühmten Artilleriebatterie angeschlossen, der des Major Ricardo Pardi, und als dann der Zweite Weltkrieg begann, hatte Joe sich ihnen ebenfalls anschließen können. Sie hatten unter Graziani gedient. Ihre Ausrüstung, besonders ihre Tanks, waren schrecklich gewesen. Die Briten hatten sie einfach abgeschossen, wie die Kaninchen, selbst die Offiziere. Man hatte die Türen der Tanks in der Schlacht mit Sandsäcken abdichten müssen, damit sie nicht aufflogen. Aber Major Pardi hatte ausgeworfene Artilleriekartuschen eingesammelt, sie poliert und eingefettet und wieder abgefeuert; seine Batterie hatte General Wavells verzweifelten Tankangriff 1943 zum Stillstand gebracht.
    »Leben deine Brüder noch?« fragte Juliana.
    Seine Brüder waren ‘44 ums Leben gekommen, von britischen Kommandoeinheiten mit Draht stranguliert, der Long Range Desert Group, die hinter den Linien der Achse operiert hatten und die insbesondere während der letzten Phasen des Krieges geradezu zu Fanatikern geworden waren, als es klar wurde, daß die Alliierten nicht mehr gewinnen konnten.
    »Was für Gefühle hast du jetzt bezüglich der Briten?« fragte sie stockend.
    Und Joe meinte: »Ich wollte, die würden mit England das gleiche machen, was sie in Afrika getan haben.« Seine Stimme war ausdruckslos.
    »Aber das liegt doch – achtzehn Jahre zurück«, sagte Juliana. »Ich weiß, daß ganz besonders die Briten schreckliche Dinge getan haben. Aber…«
    »Man spricht immer von dem, was die Nazis den Juden angetan haben«, sagte Joe. »Die Briten haben viel Schlimmeres getan. In der Schlacht von London.« Er verstummte eine Weile. »Diese Feuerwaffen, Phosphor und Öl; ich hab nachher ein paar deutsche Truppen gesehen. Boot für Boot zu Asche verbrannt. Diese Rohre unter dem Wasser – die ganze See ein einziges Flammenmeer. Und die Zivilbevölkerung – jene Brandbombenangriffe, von denen Churchill glaubte, daß durch sie der Krieg noch im letzten Augenblick entschieden werden könnte. Diese Terrorangriffe auf Hamburg und Essen und…«
    »Reden wir nicht darüber«, sagte Juliana. Sie ging in die Küche und fing an, Schinken zu braten. Sie schaltete das kleine Radio ein, das Frank ihr zum Geburtstag geschenkt hatte. »Ich mach dir etwas zu essen.« Sie drehte an der Skala und suchte leichte, angenehme Musik.
    »Schau dir das an«, sagte Joe. Er saß im Wohnzimmer auf dem Bett, den kleinen Koffer neben sich. Er hatte ihn aufgeklappt und ein abgewetztes zerfleddertes Buch herausgeholt. Er grinste Juliana an. »Komm her. Weißt du, was er behauptet? Dieser Mann…«, er deutete auf das Buch. »Das ist sehr komisch. Setz dich.« Er griff nach ihrem Arm, zog sie neben sich. »Ich möchte es dir vorlesen. Angenommen, sie hätten gewonnen. Wie wäre es dann? Wir brauchen uns gar nicht den Kopf zu zerbrechen; dieser Mann hat sich das alles ausgedacht.« Joe klappte das Buch auf und begann langsam die Seiten umzuschlagen. »Das Britische Empire würde ganz Europa kontrollieren. Das ganze Mittelmeer. Ein Italien gäbe es nicht. Ein

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