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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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Europa. Sie sind, zum Beispiel, in Tempelhof an Bord Ihrer Maschine gegangen. Kann man diese Haltung einnehmen? Sie sind ein Neutraler. Sagen Sie mir Ihre Meinung darüber, wenn Sie wollen.«
    »Ich verstehe nicht, was für eine Haltung Sie meinen«, sagte Mr. Baynes.
    »Gegenüber den Alten, den Kranken, den Schwachen, den Geistesgestörten, den Nutzlosen in allen Spielarten. ›Welchen Nutzen hat ein neugeborenes Baby?‹ hat ein angelsächsischer Philosoph angeblich einmal gefragt. Ich habe mir diesen Ausspruch gemerkt und oft darüber nachgedacht. Es hat keinen Nutzen. Allgemein gesprochen.«
    Mr. Baynes murmelte irgend etwas, um Tagomi nicht ohne Antwort zu lassen, sich aber auch nicht festzulegen.
    »Trifft es denn nicht zu«, sagte Mr. Tagomi, »daß kein Mensch das Instrument für die Nöte eines anderen sein sollte?« Er lehnte sich vor. »Bitte, sagen Sie mir Ihre neutrale skandinavische Meinung.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Mr. Baynes.
    »Im Krieg hatte ich einen untergeordneten Posten im Distrikt China«, sagte Mr. Tagomi. »In Shanghai. Es gab dort in Hongkiu eine jüdische Ansiedlung, die von der Kaiserlichen Regierung für die Dauer des Krieges interniert worden war. Der Nazigesandte in Shanghai verlangte, daß wir die Juden massakrieren. Ich erinnere mich noch an die Antwort meines Vorgesetzten. Sie lautete: ›Das läßt sich mit humanitären Überlegungen nicht in Einklang bringen.‹ Sie haben die Forderung als barbarisch abgelehnt. Das hat mich beeindruckt.«
    »Ich verstehe«, murmelte Mr. Baynes. Versucht der mich auszuhorchen? fragte er sich. Jetzt war er wieder wach. Die Pille schien zu wirken.
    »Die Juden«, fuhr Mr. Tagomi fort, »wurden von den Nazis immer als Asiaten, als Nichtweiße beschrieben. Wir in Japan haben den Hintergedanken immer begriffen, selbst zur Zeit des Kriegskabinetts. Ich habe nie mit Bürgern des Reiches darüber gesprochen…«
    Mr. Baynes unterbrach ihn. »Nun, ich bin kein Deutscher. Ich kann also auch nicht für Deutschland sprechen.« Er stand auf und ging zur Tür. »Ich werde die Unterhaltung morgen mit Ihnen fortsetzen. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich kann nicht mehr klar denken.« In Wirklichkeit waren seine Gedanken jetzt völlig klar. Ich muß hier raus, erkannte er. Dieser Mann treibt mich zu weit.
    »Entschuldigen Sie die Dummheit des Fanatismus«, sagte Mr. Tagomi und ging sofort zur Tür, um sie zu öffnen. »Mein philosophisches Interesse hat mich blind gemacht. Hier.« Er rief etwas auf japanisch.
    Die Wohnungstür öffnete sich. Ein junger Japaner kam, verbeugte sich und sah Mr. Baynes an.
    Mein Fahrer, dachte Mr. Baynes.
    Vielleicht waren das meine kindischen Bemerkungen in der Lufthansa-Maschine, dachte er plötzlich. Gegenüber diesem – wie hieß er doch? Lotze. Der Japaner hier hat das irgendwie erfahren. Hätte ich das bloß nicht zu Lotze gesagt, dachte er. Jetzt tut mir das leid. Aber es ist zu spät. Ich bin nicht der richtige Mensch für so etwas. Überhaupt nicht. Nicht für so etwas. Aber dann dachte er, ein Schwede würde so etwas zu Lotze sagen. Es ist schon gut. Es ist nichts passiert. Ich bin nur übervorsichtig. Ich kann hier ganz offen sprechen. Daran muß ich mich gewöhnen.
    Und doch sperrte sich seine ganze Erziehung, seine Ausbildung dagegen. Das Blut in seinen Adern, seine Knochen, seine Organe lehnten sich auf. Du mußt jetzt den Mund aufmachen, sagte er sich. Etwas, irgend etwas, eine Meinung, das mußt du einfach, wenn du Erfolg haben willst.
    Und dann sagte er: »Vielleicht werden sie von irgendeinem verzweifelten unbewußten Archetyp getrieben. Im Sinne Jungs.«
    Mr. Tagomi nickte. »Ich habe Jung gelesen. Ich verstehe.«
    Sie schüttelten sich die Hand. »Ich rufe Sie morgen früh an«, sagte Mr. Baynes. »Gute Nacht.« Er verbeugte sich, und Mr. Tagomi tat es ihm gleich. Der junge lächelnde Japaner trat vor und sagte etwas zu Mr. Baynes, was dieser nicht verstand.
    »Hm?« sagte Baynes und griff nach seinem Mantel.
    »Er spricht Sie in schwedischer Sprache an, Sir«, sagte Mr. Tagomi. »Er hat auf der Universität von Tokio einen Kurs über den Dreißigjährigen Krieg belegt und ist von Ihrem großen Helden Gustav Adolf beeindruckt.« Mr. Tagomi lächelte. »Es ist jedoch offenkundig, daß seine Bemühungen, eine so fremde Sprache zu meistern, hoffnungslos sind. Bestimmt hat er einen Schallplattenkurs benutzt; er ist Student, und solche Kurse sind billig und daher bei Studenten sehr beliebt.«
    Der junge

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