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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillip K. Dick
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dort gültige Politik. Vermutlich der meistgehaßte Mann des Reiches. Man nimmt an, daß Seyss-Inquart für die meisten, wenn nicht für alle Unterdrückungsmaßnahmen verantwortlich ist, die gegenüber besiegten Völkern zur Anwendung kamen. Arbeitete eng mit Rosenberg zusammen, um ideologische Siege von höchst grandiosem Umfang zu erzielen, wie zum Beispiel dem Versuch, die gesamte russische Bevölkerung, die nach dem Ende der Feindseligkeiten überlebt hatte, zu sterilisieren. Es wird angenommen, daß er einer der Verantwortlichen für die Entscheidung war, an der Bevölkerung des gesamten afrikanischen Kontinents Genozid zu begehen. Vermutlich temperamentmäßig dem ersten Führer, Adolf Hitler, am ähnlichsten.«
    Der Beamte des Auswärtigen Amtes beendete seinen trockenen, langsamen Vortrag.
    Mr. Tagomi dachte, ich glaube, ich werde verrückt. Ich muß hier raus; ich bekomme einen Anfall – ich sterbe. Er arbeitete sich hoch und schob sich zwischen den Stühlen und Menschen hindurch. Er konnte kaum sehen. Muß in den Waschraum. Er rannte.
    Ein paar Köpfe drehten sich um. Sahen ihn. Erniedrigung. Krank bei wichtiger Sitzung. Gesicht verloren. Er rannte weiter, durch die offene Tür, die ein Angestellter der Gesandtschaft hielt. Und dann ließ seine Panik nach. Sein Blick wurde wieder klarer. Er sah die Gegenstände wieder deutlich. Stabiler Boden, Wände.
    Ein Anfall von Übelkeit. Eine Funktionsstörung im Mittelohr.
    Irgendein momentaner organischer Zusammenbruch.
    Ich muß mich beruhigen. Mich an die Ordnung der Welt erinnern. Woran festhalten? Religion?
    Ein Angestellter der Botschaft neben ihm: »Sir, kann ich Ihnen helfen?«
    Mr. Tagomi verbeugte sich. »Es ist schon wieder gut.«
    Das Gesicht des anderen, ruhig, besorgt. Kein Spott.
    Lachen vielleicht alle über mich? dachte Mr. Tagomi. Tief im Innern?
    Das ist das Böse! Es ist greifbar wie Beton.
    Ich kann es nicht glauben. Ich kann es nicht ertragen. Das Böse ist nicht nur ein Standpunkt. Er wanderte durch die Vorhalle und hörte den Verkehr auf der Sutterstreet, hörte den Beamten aus dem Außenministerium zu den versammelten Männern sprechen. Unsere ganze Religion ist falsch. Was soll ich tun? fragte er sich. Er ging zum Hauptportal der Gesandtschaft; ein Angestellter öffnete es, und Mr. Tagomi ging langsam die Stufen hinunter. Die geparkten Wagen. Sein eigener. Die wartenden Chauffeure. Lacht nur, dachte er, als er sah, wie die Chauffeure ihn ansahen, als er zu seinem Wagen ging. Ich habe meinen Aktenkoffer vergessen. Ihn dort stehengelassen, neben meinem Stuhl. Alle Augen auf ihm, als er seinem Chauffeur zunickte. Die offengehaltene Türe; er kroch in seinen Wagen.
    Bring mich ins Krankenhaus, dachte er. Nein, zurück ins Büro. »Nippon Times Gebäude«, sagte er laut. »Fahren Sie langsam.«
    Er blickte auf die Stadt hinaus, die Wagen, die Läden, die hohen Gebäude, sehr modern. Menschen. All die Männer und Frauen, die ihren eigenen Geschäften nachgingen.
    Als er sein Büro erreichte, wies er Mr. Ramsey an, mit einer der anderen Handelsmissionen Verbindung aufzunehmen, der Nicht-Eisen-Metall-Mission, und zu verlangen, daß ihr Vertreter bei der Sitzung des Außenministeriums nach seiner Rückkehr mit ihm Verbindung aufnähme.
    Kurz vor Mittag kam der Anruf doch.
    »Wahrscheinlich haben Sie bemerkt, daß mir bei der Sitzung übel geworden ist«, sprach Mr. Tagomi ins Telefon. »Alle müssen das gemerkt haben, insbesondere meinen überhasteten Weggang.«
    »Ich habe nichts gesehen«, sagte der Mann von der NE-Metall. »Aber nach der Sitzung sah ich Sie nicht und fragte mich, was wohl aus Ihnen geworden war.«
    »Sie sind sehr taktvoll«, meinte Mr. Tagomi bedrückt.
    »Aber nein. Ich bin sicher, daß alle von dem Vortrag zu sehr beeindruckt waren, um überhaupt auf etwas anderes zu achten. Und was das betrifft, was nach Ihrem Weggang geschah – sind Sie dageblieben, bis alle möglichen Aspiranten für die mögliche Nachfolge besprochen waren? Das war das erste.«
    »Ich hörte es bis zu der Stelle über Dr. Seyss-Inquart.«
    »Anschließend verbreitete sich der Sprecher über die wirtschaftliche Situation. Die Heimatinseln nehmen den Standpunkt ein, daß Deutschlands Vorhaben, die Bevölkerungen Europas und Nordasiens auf den Status der Sklaven herunterzudrücken – und außerdem alle intellektuellen und alle bürgerlichen Elemente und die gesamte patriotische Jugend und was sonst noch alles zu ermorden –, eine wirtschaftliche

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