Das Orakel vom Berge
auch?« Er verbeugte sich.
Miss Ephreikian, das Aufnahmegerät im Schoß, verbeugte sich ebenfalls leicht.
»Senden Sie das«, sagte er. »Unterschreiben Sie es, etcetera. Sie können die Sätze umstellen, wenn Sie wollen, damit sie etwas bedeuten.« Als sie das Büro verließ, fügte er hinzu: »Oder daß sie nichts bedeuten. Was immer Sie vorziehen.«
Nachdem sie gegangen war, begann er, sich mit Routinearbeiten zu beschäftigen. Aber unmittelbar darauf meldete Mr. Ramsey sich über die Sprechanlage. »Sir, Mr. Baynes ist am Telefon.«
Gut, dachte Mr. Tagomi. Jetzt können wir die wichtige Diskussion beginnen. »Stellen Sie durch«, sagte er und griff nach dem Hörer.
»Mr. Tagomi«, kam Mr. Baynes’ Stimme.
»Guten Tag. Infolge der Nachricht von Kanzler Bormanns Tod mußte ich unerwartet heute morgen mein Büro verlassen. Aber wir…«
»Hat Mr. Yatabe sich schon mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Noch nicht«, antwortete Mr. Tagomi.
»Haben Sie Ihren Angestellten aufgetragen, nach ihm Ausschau zu halten?« fragte Mr. Baynes. Er klang erregt.
»Ja«, sagte Mr. Tagomi. »Man wird ihn sofort zu mir führen, wenn er kommt.« Er machte sich eine Notiz, es Mr. Ramsey zu sagen – bis jetzt hatte er noch keine Zeit gehabt. »Dann sollen wir also nicht mit der Besprechung beginnen, bis der alte Herr auftaucht?« Er war etwas verärgert. »Sir«, begann er. »Ich bin sehr interessiert daran, bald zu beginnen. Wollen Sie uns jetzt Ihre Spritzformen vorlegen? Wir waren zwar heute etwas durcheinander…«
»Es hat eine Änderung gegeben«, sagte Mr. Baynes. »Wir werden auf Mr. Yatabe warten. Sind Sie sicher, daß er noch nicht da ist? Ich möchte Ihr Wort, daß Sie mich sofort verständigen, wenn er Sie anruft.« Mr. Baynes’ Stimme klang angespannt, unsicher.
»Ich gebe Ihnen mein Wort.« Jetzt spürte er die Erregung auch. Der Tod Bormanns hatte die Änderung herbeigeführt. »Unterdessen«, sagte er schnell, »würde ich mich sehr über Ihre Gesellschaft freuen, vielleicht heute zum Mittagessen. Ich hatte bisher noch nicht Gelegenheit zum Mittagessen.« Und dann fügte er hinzu: »Wir warten vielleicht mit den Einzelheiten, aber wir konnten uns ja über die Weltlage unterhalten – insbesondere…«
»Nein«, sagte Baynes.
Nein? dachte Mr. Tagomi. »Sir«, sagte er dann. »Ich fühle mich heute nicht wohl. Ich hatte einen unangenehmen Zwischenfall; ich hatte gehofft, mit Ihnen darüber sprechen zu können.«
»Tut mir leid«, sagte Mr. Baynes. »Ich rufe Sie später noch einmal an.« Das Telefon klickte. Er hatte abrupt aufgelegt.
Ich habe ihn beleidigt, dachte Mr. Tagomi. Er hat wahrscheinlich geahnt, daß ich versäumt habe, meine Mitarbeiter über den alten Herrn zu informieren. Aber das ist eine Kleinigkeit. Er drückte den Knopf der Sprechanlage und sagte: »Mr. Ramsey. Bitte kommen Sie in mein Büro.« Das ließ sich sofort beheben. Hier geht es um viel Wichtigeres, entschied er. Der Tod Bormanns hatte ihn aus dem Gleichgewicht geworfen.
Eine Kleinigkeit – und doch ein Hinweis auf meine dumme, gleichgültige Einstellung. Mr. Tagomi empfand Schuld. Das ist kein guter Tag. Ich hätte das Orakel befragen sollen, feststellen, was es mir zu sagen hat. Ich bin weit vom Tao abgeglitten; das ist ganz offenkundig.
Unter welchen der vierundsechzig Hexagramme leide ich? fragte er sich. Er zog die Schreibtischschublade auf und holte das I Ching und legte die beiden Bände auf den Tisch. So viele Fragen…
Als Mr. Ramsey das Büro betrat, hatte er bereits das Hexagramm vor sich liegen. »Schauen Sie, Mr. Ramsey.« Er zeigte ihm das Buch.
Das Hexagramm war siebenundvierzig – Unterdrückung, Erschöpfung.
»Im allgemeinen ein schlechtes Omen«, sagte Mr. Ramsey. »Was war Ihre Frage, Sir? Falls Sie meine Frage nicht beleidigt.«
»Ich habe mich nach dem Augenblick erkundigt«, sagte Mr. Tagomi. »Dem Augenblick für uns alle. Keine bewegten Linien. Ein statisches Hexagramm.« Er schloß das Buch.
Um drei Uhr nachmittags beschloß Frank Frink, der mit seinem Geschäftspartner immer noch auf Wyndam-Matsons Entscheidung hinsichtlich des Geldes wartete, das Orakel zu befragen. Wie werden die Dinge sich entwickeln? fragte er und warf die Münzen.
Das Hexagramm war siebenundvierzig. Er bekam eine bewegte Zeile, neun an fünfter Stelle.
Seine Nase und seine Füße sind abgeschnitten.
Unterdrückung von der Hand des Mannes mit den purpurroten Kniebändern.
Sanft kommt die Freude.
Es hilft einem, Spenden
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