Das Orakel vom Berge
Katastrophe war. Nur die ungeheuren technologischen Leistungen der deutschen Wissenschaft und der Industrie haben sie gerettet. Wunderwaffen sozusagen.«
»Ja«, nickte Mr. Tagomi.
Hinter seinem Schreibtisch sitzend und mit einer Hand den Telefonhörer haltend, goß er sich eine Tasse heißen Tee ein. »Genau wie ihre Wunderwaffen V 1 und V 2 und ihre Düsenjäger im Krieg.«
»Das Ganze ist eine Frage von Fingerfertigkeit«, sagte der NE-Metall-Mann, »Insbesondere ihre Anwendung der Atomenergie hat dafür gesorgt, daß die Dinge nicht zur Katastrophe führten. Und dann dieser raffinierte Ablenkungstrick mit ihrem Raketenzirkus. Flüge zum Mars und zur Venus. Der Sprecher wies darauf hin, daß die ganzen Importe von den Planeten, und seien sie noch so sensationell, wirtschaftlich betrachtet überhaupt keinen Nutzen gebracht hätten.«
»Aber dramatisch sind sie«, sagte Mr. Tagomi.
»Seine Prognose war recht düster. Er kam zu dem Schluß, daß die meisten Nazis in hohen Ämtern die Tatsachen ihrer wirtschaftlichen Schwäche nicht erkennen wollen. Damit beschleunigen sie aber nur die Tendenz zu noch größeren Gewaltaktionen, zu noch mehr Unsicherheit und weniger Stabilität im allgemeinen. Der Zyklus von manischer Begeisterung, dann Angst, dann Parteilösungen verzweifelter Art – nun, er machte uns jedenfalls klar, daß all dies dazu führen würde, daß die verantwortungslosesten und gefährlichsten Aspiranten an die Spitze gelangen müßten.«
Mr. Tagomi nickte.
»Wir müssen also damit rechnen, daß eher die schlechteste als die beste Wahl getroffen werden wird. Die nüchternen verantwortungsbewußten Elemente werden bei der bevorstehenden Auseinandersetzung hinweggefegt werden.«
»Und wen hielt er für die schlimmsten?« sagte Mr. Tagomi.
»R. Heydrich, Dr. Seyss-Inquart, H. Göring. In der Meinung der Kaiserlichen Regierung.«
»Und die besten?«
»Wahrscheinlich B. v. Schirach und Dr. Goebbels. Aber darüber hat er sich nicht weiter ausgelassen.«
»Sonst noch etwas?«
»Er sagte mir, daß wir in dieser Stunde mehr denn je Vertrauen in den Kaiser und das Kabinett haben müßten. Er sagte, daß wir voll Zuversicht auf den Palast blicken können.«
»Gab es einen Augenblick respektvollen Schweigens?«
»Ja.«
Mr. Tagomi dankte dem NE-Metall-Mann und legte auf.
Als er dann an seinem Tee nippte, summte die Sprechanlage. Miss Ephreikians Stimme erklang: »Sir, Sie wollten eine Nachricht an den deutschen Konsul schicken.« Eine Pause. »Wollten Sie sie mir diktieren?«
Allerdings, erkannte Mr. Tagomi. Das habe ich vergessen. »Kommen Sie ins Büro«, sagte er.
Sie kam sofort und lächelte hoffnungsvoll. »Fühlen Sie sich besser, Sir?«
»Ja. Eine Vitaminspritze hat mir geholfen.« Er überlegte. »Sagen Sie, wie heißt der deutsche Konsul?«
»Das habe ich hier, Sir. Freiherr Hugo Reiss.«
»Mein Herr«, begann Mr. Tagomi. »Die erschütternde Nachricht hat uns erreicht, daß Ihr Führer, Herr Martin Bormann, entschlafen ist. Tränen steigen mir in die Augen, während ich diese Worte schreibe. Wenn ich mich an die kühnen Taten erinnere, die Herr Bormann vollbrachte, als er die Rettung des deutschen Volkes vor seinen Feinden zu Hause und in der Ferne sicherte, wenn ich an die meine Seele erschütternden Maßnahmen der Strenge gegenüber jenen Verrätern denke, die die Vision der ganzen Menschheit von einem Kosmos zunichtegemacht hätten, in dem jetzt die blonden, blauäugigen nordischen Rassen nach Äonen…«, er hielt inne. So konnte er den Satz nicht zu Ende führen. Miss Ephreikian hielt das Tonband an und wartete.
»Das sind große Zeiten«, sagte er.
»Soll ich das aufnehmen, Sir? Ist das Ihre Nachricht?« Unsicher ließ sie die Maschine wieder anlaufen.
»Ich hatte Sie angesprochen«, sagte Mr. Tagomi.
Sie lächelte.
»Spielen Sie mir meine Äußerungen noch einmal vor«, sagte Mr. Tagomi.
Das Band drehte sich. Dann hörte er seine Stimme, klein und metallisch aus dem Lautsprecher: »… nordischen Rassen nach Äonen…« Er lauschte. Alles leere Worte, dachte er.
»Jetzt habe ich den Schluß«, sagte er, als das Tonband die Stelle seiner letzten Pause erreicht hatte. »… voll Entschlossenheit ihren Platz in der Geschichte einzunehmen, von dem kein lebendes Wesen sie wieder vertreiben kann, gleichgültig, was geschehen mag.« Er hielt inne. »Wir sind alle Insekten«, sagte er zu Miss Ephreikian. »Tasten nach etwas Schrecklichem oder etwas Göttlichem. Meinen Sie nicht
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