Das Orakel von Margyle
Schultern und schob ihn zu Maura in die Zelle. Als Delyons volles Gewicht gegen Maura fiel, sackte sie auf dem festgestampften Boden zusammen. Zumindest hatte sie Delyon so einen weiteren Schlag auf den Kopf erspart, auch wenn ihr einen Moment lang die Luft wegblieb.
Nachdem sie ihren Mantel zu einem Kissen zusammengerollt und es dem jungen Gelehrten auf diese Art so bequem wie möglich gemacht hatte, inspizierte Maura ihre winzige Zelle. Sie besaß drei feste Wände aus Stein, während die dritte aus dicken Eisenstäben bestand. Es gab keinerlei Möbel, noch nicht einmal ein an der Wand befestigtes Holzbrett als Bett. In einer Ecke standen zwei kniehohe Metallkannen. Eine fing das Wasser auf, das aus einem kleinen Loch von der Decke tropfte. Sie füllte sich, während der Regen draußen immer stärker wurde, mit hellem, monotonem Tröpfeln.
Der zweite Behälter sah aus und roch wie ein Toiletteneimer. Sich die Nase zuhaltend machte Maura hastig Gebrauch von ihm und kehrte dann zu Delyon zurück. Sein Herzschlag war regelmäßig, wenn auch ein wenig langsam, und er atmete ruhig – ein gutes Zeichen.
Als Maura die Wasserkanne näher betrachtete, entdeckte sie auf ihrem Boden einen Metallbecher. Sie leerte ihn bis auf einen kleinen Rest und nahm dann etwas von Dame Diottas Lebensblättern. Sie hatte befürchtet, der Han würde ihr den Schultergurt wegnehmen, doch als sich bei einer schnellen Durchsuchung gezeigt hatte, dass der Inhalt nur aus getrockneten Pflanzen und tierischen Materialien bestand, hatte der Offizier sie mit einem verächtlichen Schulterzucken entlassen. Wenn er wüsste!
Maura rollte die Blätter zwischen den Händen, damit sich ihre kraftvolle Essenz freisetzte, und ließ sie dann ins Wasser fallen. Als Nächstes fügte sie eine Fingerspitze voll Fadenkraut und Mondmalve hinzu. Sie wünschte, sie hätte die Möglichkeit, das Wasser für seine Stärkungsmittel zu erhitzen. Aber das war nun mal nicht zu ändern. Sie konnte nur alles in ihrer Macht Stehende tun und den Allgeber bitten, für den Rest zu sorgen.
Sie schob den Arm unter Delyons Schulter, hob seinen Kopf und begann, ihm die Medizin in den Mund zu tröpfeln. Das weckte schmerzvolle Erinnerungen an die Nacht, als sie versucht hatte, auch Langbard auf diese Weise wiederzubeleben. Doch damals war sie zu spät gekommen. Würde es auch für Delyon zu spät sein?
Fast glaubte sie es, als sich seine Kehle mit einem Mal bewegte und er anfing, den Stärkungstrank zu schlucken. Nachdem er den Becher geleert hatte, begannen seine Augenlider zu zucken. Er stöhnte leise vor Schmerz. Unter anderen Umständen hätte Maura ihm einen Trank aus Sommerknospen gemacht. Aber sie wollte ihn nicht wieder bewusstlos werden lassen, wo sie ihn doch gerade erst wachbekommen hatte. Stattdessen mixte sie eine Salbe aus Sumpfwurz, Kerzenflachs und Winterwurz und strich sie ihm vorsichtig auf die schlimm aussehende dicke Beule an seinem Kopf.
Als sie seinen Kopf mit Leinenstreifen verbunden hatte, war Delyon vollständig zu sich gekommen. “Was ist passiert?”, stöhnte er. “Wo sind wir?”
Maura sagte es ihm.
“Jetzt fällt es mir wieder ein – der Anschlag! Die hanischen Buchstaben erinnerten mich an einige Symbole auf meiner Schriftrolle. Ich glaube, sie könnten der Schlüssel sein, um den Rest zu entziffern.” Delyon griff an seinen Gürtel. “Meine Schriftrolle – wo ist sie?”
“Die Wächter haben sie.” Maura hielt ihn zurück, als er sich aufsetzen wollte. “Die Han halten sie anscheinend für einen verschlüsselten Plan oder eine Botschaft von Spionen. Sie nehmen die Rolle und uns mit nach Venard, wo sich die Echtroi versammelt haben.”
“Wir müssen sie zurückbekommen!” Delyon versuchte aufzustehen. “Und wir müssen hier raus! Wir dürfen den Echtroi nicht in die Hände fallen!”
“Still! Liegt ruhig.” Sie sprach Twaran, falls man sie belauschte. “Im Moment sind wir nicht in Gefahr. Ich bin auch nicht scharf darauf, von den Echtroi verhört zu werden. Doch ich habe nichts dagegen, nach Venard mitgenommen zu werden, selbst wenn es in Begleitung von hanischen Soldaten ist.”
Delyon dachte ein oder zwei Augenblicke über diese Bemerkung nach, dann nickte er widerwillig. “Was bleibt uns anderes übrig, jetzt, wo unsere Vorräte und unser Geld dahin sind? Es tut mir leid, dass ich uns den ganzen Ärger eingebrockt habe.”
“Was geschehen ist, ist geschehen.” Maura erinnerte sich an einen Satz von Langbard. “Wir
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