Das Paradies am Fluss
bisher hat Oliver – zu Toms allergrößter Irritation – noch nie eine Quittung dafür einstecken müssen. Jahrgangsbester in Cambridge, der Erfolg der Firma, in der er und der alte Onkel Eustace zusammen Merchandising-Produkte herstellten. Dann, als der alte »Unk« starb und Oliver den Großteil seiner Anteile vermachte, hatte Oliver sehr geschickt die Firma genau im richtigen Moment verkauft und sehr viel Geld verdient. All das hat zu Toms Eifersucht auf seinen Sohn beigetragen.
Kate lacht in sich hinein. »Armer Tom! Es muss sehr schwierig sein, dir dabei zuzusehen, wie du von Erfolg zu Erfolg eilst und dir anscheinend sehr wenig Mühe zu geben brauchst. Komm, lass uns zum Moor hinaufgehen!«
Das alte Pfarrhaus, das auf der anderen Straßenseite gegenüber der kleinen Granitkirche liegt, steht am Dorfrand. Von hier aus ist es nicht weit bis zur Hochmoorstraße, aber der Anstieg ist steil. Ein paar Schafe stieben vor ihnen auseinander und laufen in hohe Stechginster-Dickichte davon, aber Flossie ignoriert sie. Kate hat sie gut erzogen.
»Ich wünschte, Ma hätte noch einen Hund«, meint Oliver. »Hat sie dir erzählt, dass die beiden das Pfarrhaus verkaufen und nach Tavistock ziehen wollen?«
»Was?« Kate bleibt stehen und starrt ihn an. »Ist das dein Ernst? Cass liebt das Pfarrhaus. Und wenn Gemma und die Zwillinge nach Hause kommen …«
Sie wendet sich ab und sieht zum Burrator-Stausee hinaus. Das Dorf Sheepstor ist oberhalb des Stausees als fernes Gewirr aus grauen Linien zu erkennen, und auf den Hügeln raschelt das rostrote, abgestorbene Farnkraut.
»Gemma muss irgendwo bleiben, wenn sie aus Kanada zurückkommt«, pflichtet Oliver ihr bei. »Aber Pa findet, wenn sie Guy verlässt, muss sie lernen, allein klarzukommen. Er sagt, dass es ein Vermögen kostet, das alte Pfarrhaus zu unterhalten, und er sich das nicht mehr leisten kann. Pa will ein kleines Haus in Tavistock kaufen, wo die beiden zu Fuß zum Einkaufen gehen können. Und in den Pub.«
»Und wie denkt Cass darüber?«
»Na ja, Ma eiert herum und sagt: ›Aber wie sollen die Kinder in ein kleines Haus in Tavistock passen, wenn sie uns in den Ferien besuchen?‹ Und dann antwortet Pa, dass er kein Hotel führt und dass sie in der Nähe in einer Frühstückspension oder in einem Ferienhaus für Selbstversorger wohnen sollen, und Ma sagt, dass das absolut nicht das Gleiche ist.«
Zögernd lächelt Kate; sie kann sich diese Gespräche vorstellen. Tom wird sich aufregen, er wird herumbrüllen, und Cass wird in ruhigem Ton weiterargumentieren – und sie werden im Pfarrhaus wohnen bleiben.
»Das Problem ist«, sagt sie wie zu sich selbst, »dass ich wirklich nicht die Richtige bin, um mich dazu zu äußern. Ich habe Mark wohl so ziemlich aus den gleichen Gründen verlassen, aus denen Gemma sich jetzt von Guy trennen will. Das denkt jedenfalls Cass. Sie weiß noch, wie das damals für mich war, und sagt, wahrscheinlich ganz zu Recht, dass ich es mit Mark auch nicht geschafft habe. Wie kann man dann verlangen, dass Gemma mit Guy klarkommt? Und ich weiß nichts darauf zu erwidern.«
Oliver fasst sie wieder unter, eine tröstliche, freundschaftliche Geste.
»Der Unterschied ist bloß«, meint er, »dass Guy nicht Mark ist.«
Die Dankbarkeit überwältigt sie beinahe. Deswegen liebt sie Oliver: Er begreift schnell und kommt direkt zum Kern der Sache.
»Nein«, pflichtet sie ihm rasch bei. »Nein, oder? Guy liebt seine Kinder, und er hat sich große Mühe gegeben, Verständnis für Gemma aufzubringen, die das Bedürfnis hat, mit jedem verfügbaren Mann zu flirten. Sogar als sie diese Affäre hatte, hat Guy akzeptiert, dass es an seinen vielen Reisen lag, um Boote auszuliefern und abzuholen, und dass sie schrecklich einsam war.«
»Ein Jammer, dass Guy darauf bestanden hat, mit ihr nach Kanada zu gehen! Ich weiß, dass es gut klang – ein Neuanfang und all das Zeug –, doch ich finde auch, dass die Hoffnung zu optimistisch war, Gemma würde sich so weit entfernt von ihren Freunden und ihrer Familie einleben. Und dann noch mit zwei ziemlich starken, aber schweigsamen Männern!«
»Mark hat Gemma sicher schwierig gefunden«, meint Kate zustimmend. »Sie ist Cass so ähnlich, und mit deiner Mutter ist er nie zurechtgekommen. Ihre Sexualität hat ihm Angst gemacht, und er fand Cass viel zu affektiert und töricht. Er konnte einfach nichts mit ihrer überschwänglichen Art anfangen.«
»Aber Guy kann das«, ruft er ihr ins Gedächtnis. »Guy mag
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