Das Paradies am Fluss
des Mädchens hatten auch andere Menschen mit in die Sache hineingezogen und schließlich zu einer furchtbaren Tragödie geführt. Noch heute hört Cass die erbitterten Erwiderungen, die sie ihrer Tochter lautstark entgegenschleuderte – und dann hatte Charlotte noch unter Schock ihr Pony gesattelt und war davongeritten, in den Tod. Sie war damals erst fünfzehn Jahre alt gewesen …
Die Zwillinge kommen aus der Küche gerannt. »Granny«, rufen sie. »Wo steckst du, Granny?« Und Cass reißt sich von diesen Gedanken los und eilt dankbar die Treppe hinunter, zu ihnen.
»Aber Tatsache ist, Jess«, sagt Kate später, als sie vor dem Kamin sitzen, »dass ein Teil von mir ihr immer noch ein wenig grollt. Cass hat mir schon immer den Wind aus den Segeln nehmen können, und Gemma ist ganz genauso.«
Während ihres Gesprächs hat es Kate betroffen gemacht, wie sehr Gemma mit ihrem zu einem Knoten geschlungenen langen blonden Haar und ihren nervös dreinblickenden blauen Augen Cass und Oliver ähnelt. Wieder einmal rückten die Geister näher: Kate erinnerte sich an das entzückende Baby Gemma in ihrem Kinderwagen, an das hübsche Schulmädchen und die wunderschöne junge Braut. Aus all diesen Gemmas war die äußerst attraktive Frau geworden, die sie jetzt über den Rand ihrer Teetasse hinweg ansah.
»Ehrlich, Kate«, sagte sie, »ich musste etwas unternehmen. Mark ist unmöglich, und Guy wird nur immer schweigsamer und unnahbarer. Du musst das doch wissen!«
Und Kate pflichtete ihr bei; ja, sie kennt diese unsichtbare Barriere, die jeden Kommunikationsversuch zunichtemacht, die eisige Stimmung und das bedrückende Fehlen jeglicher körperlicher Nähe.
»Oh, ich weiß, wie Guy sein kann!«, sagt Kate jetzt zu Jess. »Und ich weiß, dass es für jemanden wie Gemma nicht immer leicht ist, mit einem so wenig emotionalen, ziemlich strengen Charakter zurechtzukommen. Aber die beiden kennen einander schon ihr ganzes Leben, daher nützt es nichts, sich nach so langer Zeit darüber zu beklagen.«
»Wie eigenartig das sein muss!«, meint Jess, die es sich am anderen Ende des Sofas bequem gemacht hat. Dieser neue Blickwinkel auf die Geschichte fasziniert sie. »Haben Sie sich gefreut, als die beiden geheiratet haben?«
»Ja«, antwortet Kate und versucht, sich zu erinnern. »Ja, weil sie so verliebt zu sein schienen; doch ich habe mir auch Sorgen gemacht, weil sie so vollkommen unterschiedlich sind.« Sie zögert und fragt sich, wie viel sie Jess anvertrauen soll, wie weit sie gehen kann, ohne es an Loyalität fehlen zu lassen.
»Du kannst es ihr ebenso gut sagen«, hat Gemma erklärt. »Sie wird noch eine Weile bei uns sein, und so wird es einfacher für alle, nicht wahr?«
»Komischer Gedanke«, meint Jess, »dass ich vielleicht ein Teil von alldem gewesen wäre, wenn Juliet und Mike nicht nach Australien gegangen wären! Daddy wäre möglicherweise mit Oliver und Guy zur Schule gegangen.«
»Ihr Vater muss sehr jung geheiratet haben«, wirft Kate ein.
Jess nickt. »Er war zweiundzwanzig. Ich glaube, der Grund war, dass er hier auf sich selbst gestellt war und einen Menschen für sich allein haben wollte. Mums Eltern waren bei einem Autounfall gestorben, als sie noch ziemlich jung war, und die beiden waren ein wenig wie Hänsel und Gretel, ›Wir zwei gegen den Rest der Welt‹, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie haben aufeinander aufgepasst, obwohl sie beide ziemlich starke Persönlichkeiten waren und wir natürlich Freunde bei der Armee hatten. Aber als Daddy gefallen ist und Mum nach Brüssel ging, fiel das alles auseinander. Ich glaube, deswegen fasziniert es mich so, das alles zu hören. Es ist, als hätte ich wieder eine Familie.«
»Wir haben noch nicht viel über Juliet und Mike gesprochen, obwohl wir das wahrscheinlich nachholen werden, wenn wir bei den Trehearnes zu Mittag essen. Johnnie kannte Mike sehr gut. Hat Tom nicht erzählt, dass Juliet und Mike sich auf einer Party bei den Trehearnes kennengelernt haben? Das Haus wird Ihnen gut gefallen. Es liegt am Tamar, und der Rundumblick ist spektakulär. Im Sommer haben sie ihre Partys immer draußen im Seegarten veranstaltet.«
»Im Seegarten? Was ist ein Seegarten?«
»Früher war er eine alte Anlegestelle, die über den Salzwiesen erbaut war. Jetzt ist das Gelände mit Gras bewachsen und hat eine wunderschöne Steinbalustrade, die sich im Bogen um den Rand des Rasens erstreckt, und eine ganz erstaunliche alte Galionsfigur, die Circe. Sie schaut den
Weitere Kostenlose Bücher