Das Paradies am Fluss
Herzens steigt sie wieder in den Wagen und fährt zum Pfarrhaus. Alle sind so taktvoll und diskret, dass es schon demütigend ist. Sogar Pa nimmt sich zusammen. Sie sieht förmlich, welche Anstrengung ihn das kostet, und kann sich nicht ganz dazu überwinden, ihm die Sache mit dem Ultimatum zu erklären. Noch nicht. Ma ist okay, doch Gemma fühlt sich ein wenig wie ein Knochen, den sich die beiden gegenseitig streitig machen. Pa will alles ordentlich und geregelt haben, und dann sagt sie Dinge, die sie nicht meint, und verpflichtet sich zu anderen, zu denen sie eigentlich nicht bereit ist, nur damit er den Mund hält. Ma wirft sich für sie in die Bresche, was für gewöhnlich zu einem Streit führt. Gemma will nicht, dass die Jungs allzu viel davon mitbekommen, und sie betet, dass ihr Pokerspiel Erfolg hat, bevor die beiden Schaden nehmen. Sie sind zu jung, um zu begreifen, dass etwas nicht stimmt, und glauben, dass sie einfach wieder hierher gezogen sind und Daddy nachkommen wird, sobald er kann.
Sie versucht, nicht daran zu denken, dass sie ihnen vielleicht irgendwann erklären muss, dass Daddy doch nicht kommt. Und sie denkt wieder an Kate und daran, wie sie sich fühlen muss. Schließlich ist Guy ihr Sohn. Während ihres Gesprächs war offenkundig, dass sie an ihre eigene Beziehung zu Mark zurückdachte und sich große Mühe gab, fair zu sein – aber Guy ist nicht Mark. Mit einem Mal sehnt sich Gemma so nach Guy, dass ihr Tränen in den Augen brennen, doch sie fängt sich wieder. Die Zwillinge warten auf sie, und sie muss stark und fröhlich sein.
Vom Fenster auf dem Treppenabsatz aus sieht Cass zu, wie Gemma in die Einfahrt einbiegt und den Wagen parkt. Einen Moment lang steht sie mit gesenktem Kopf da, als hätte sie etwas vergessen, aber Cass weiß, dass sie sich zusammennimmt, und fragt sich, wie wohl die Begegnung mit Kate verlaufen ist. Gemma dreht sich um, hängt sich die Tasche über die Schulter, eilt auf das Haus zu und ist vom Fenster aus nicht mehr zu sehen.
Cass bewegt sich nicht. Sie lauscht den Stimmen der Zwillinge, die ihre Mutter in der Küche begrüßen, und Gemmas munterer Antwort. Nicht zum ersten Mal fragt Cass sich, wieso sich Gemma in Guy verliebt hat, warum ein so unbeschwertes, kokettes Mädchen sich von einem so zurückhaltenden, undurchschaubaren Mann wie ihm angezogen gefühlt hat.
»An Guy ist so viel mehr als das, was ihr seht«, hat Gemma einmal gesagt. »Deswegen liebe ich ihn. Er hat etwas ganz Besonderes, und das gehört mir allein.«
Das stimmt wahrscheinlich; Guy strahlt eine Integrität und eine Zielstrebigkeit aus, die es umso lobenswerter erscheinen lassen, dass er bereit war, Gemma ihre Untreue zu verzeihen und der Ehe noch eine Chance zu geben. Trotzdem … Cass verschränkt die Arme, beugt sich vor und legt die Stirn an das kühle Glas. Was Gemma ihr erzählt hat, macht ihr Angst; sie fürchtet, dass Guy, wenn er älter wird, härter und wie sein Vater werden wird.
Sie ist froh, dass Gemma und die Zwillinge zu Hause und damit Marks Einfluss entzogen sind, und sie wird alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sie auch hierbleiben. Die kleinen Jungen sind ihr so kostbar und so lieb, dass es für sie unerträglich wäre, sie Marks scharfer Zunge und seinen verächtlichen Blicken ausgesetzt zu sehen. Guy dagegen liebt offensichtlich seine Söhne, und sie lieben ihn, daher ist es vielleicht töricht von ihr, solche Angst zu haben.
Jetzt wird alles gut: Sie sind zu Hause und in Sicherheit, und wenn Guy nachkommt, ist das gut, und wenn nicht … Cass denkt an Kate, und ihr wird das Herz schwer. Kate ist zu ehrlich, um Gemma dafür zu verurteilen, dass sie für Guy so empfindet, wie sie selbst einst für Mark gefühlt hat. Aber die schlichte Wahrheit ist trotzdem, dass sie alle noch glücklich in South Brent leben würden, wenn Gemma nicht untreu gewesen wäre.
Cass richtet sich auf und wendet sich vom Fenster ab, als liefe sie vor etwas davon, das sie nicht mehr sehen will; doch die alte, vertraute Qual drückt ihr das Herz zusammen. Wäre sie selbst damals, vor vielen Jahren, nicht untreu gewesen, dann wäre Charlotte, ihre Älteste und Toms Lieblingskind, noch am Leben. Auch jetzt noch zuckt Cass bei der Vorstellung zusammen, wie Charlotte sie beobachtet, gelauscht und sich nach und nach die unappetitliche Wahrheit zusammengereimt haben muss. Und die furchtbare Ironie war, dass die Affäre schon vorüber war, als Charlotte sie ihr auf den Kopf zusagte. Die Vorwürfe
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