Das Paradies am Fluss
Fluss entlang, in Richtung Plymouth und Meer. Die Vorfahren der Trehearnes waren Kaufleute, und in den alten Zeiten fuhren die Schiffe direkt flussaufwärts. Die Circe stammt von einem dieser Schiffe, und sie ist einfach großartig. Der Legende nach hat ein alter Seebär den Seegarten erbaut, als er nicht mehr aufs Meer hinausfahren konnte, damit er aus dem Haus treten konnte, um am Fluss entlangzusehen, den Möwen zu lauschen und zuzusehen, wie die Flut über das Watt hereinkam.«
Jess versucht, sich das vorzustellen. »Und dort haben sich Juliet und Mike kennengelernt?« Mit einem Mal hat sie eine Vision von hübschen Mädchen in langen Kleidern und gut aussehenden Männern in Uniform, die sich durch den Seegarten bewegen; über der Balustrade sind Lichterketten aufgehängt und werfen in der einbrechenden Abenddämmerung glitzernde Reflexe auf das dunkle Wasser. Sie blinzelt, erstaunt über dieses lebhafte innere Bild.
»So hat es Tom jedenfalls erzählt.« Kate fällt auf, dass Jess »Juliet und Mike« sagt, nicht »Granny und Großvater«, als sähe sie sie jetzt als das junge Paar, das sie damals waren, als befände sie sich mit ihnen in der Geschichte. »Tom hat zusammen mit Mike gedient, daher muss er ihn ziemlich gut gekannt haben, obwohl Mike ein paar Jahre älter war als er.«
»Ich frage mich, warum sie nach Australien gegangen sind«, meint Jess ziemlich wehmütig.
»Damals waren Versetzungen recht häufig«, erklärt Kate. »Zwischen hier und Australien und Kanada. Mark, mein Exmann, ist zur kanadischen Marine versetzt worden und hat sich dann, als er in Pension gegangen ist, in eine Werft eingekauft. Guy hat hier mit Jachten gehandelt und sie überführt, und deswegen dachte er auch, dass alles funktionieren könnte, als er und seine Familie zu Mark gezogen sind.«
»Sie freuen sich sicher sehr darüber, dass sie zurück sind.«
»Glücklicher wäre ich, wenn Guy sie begleitet hätte. Ich verstehe schon, warum Gemma ihm dieses Ultimatum gestellt hat, doch ich hoffe, dass sie nicht zu hoch pokert.«
»Sind Sie böse auf sie, weil sie das Risiko eingeht?«
»Wahrscheinlich schon ein wenig«, gesteht Kate. »Das meinte ich mit ›grollen‹. Gemma ist untreu gewesen, verstehen Sie, Guy hat es herausgefunden, und es ist alles ziemlich unangenehm geworden. Er hat beschlossen, zu seinem Vater nach Kanada zu gehen, um einen klaren Schlussstrich unter das Durcheinander hier zu ziehen, und ihr die Entscheidung überlassen, mitzukommen oder die Ehe zu beenden. Gemma war ebenfalls der Meinung, dass es ein fairer Handel war. Eine Weile hat auch alles geklappt, aber Mark zeigt absolut keine Bereitschaft, Guy das Geschäft zu überlassen, was ursprünglich der Plan war. Stattdessen herrscht er mit eiserner Hand und lässt Guy keinen Handlungsspielraum. Guy ist inzwischen desillusioniert und missmutig, und Gemma vermisst ihre Freunde und ihre Familie. Sie hat versucht, Guy zur Rückkehr zu überreden, und jetzt hat sie ihm dieses Ultimatum gestellt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie es mit Mark und Guy schwer hatte, besonders jetzt, nachdem Mark wieder geheiratet hat. Doch das wäre alles nicht passiert, wenn sie nicht zuerst untreu gewesen wäre.«
»Aber war sie denn untreu, weil sie … nun, sich mit Guy gelangweilt hat?«
Kate seufzt. »Gemma kann einfach einem Flirt nicht widerstehen. Cass war früher genauso. Da haben die beiden so eine Art blinden Fleck. Sie sehen es nicht als Betrug, sondern einfach als harmlosen Spaß. Doch leider funktioniert das so nicht; obwohl Guy sehr verständnisvoll war, als er herausfand, dass sie tatsächlich eine Affäre hatte. Er hat eingesehen, dass Gemma durch seine Reisen zu oft allein gewesen war, und war bereit, der Ehe eine zweite Chance zu geben. Sie wollte das auf jeden Fall. Deswegen war sie bereit, nach Kanada zu gehen. Wir waren natürlich alle traurig darüber, dass sie so weit weg sein würden, doch das war damals Guys Bedingung. Aber jetzt sitzt Gemma am längeren Hebel.«
»Arme Kate! Das ist ziemlich schwer für Sie, stimmt’s?«
»Wenn Gemma Guy falsch eingeschätzt hat, wird es schwer für uns alle. Sie haben sich da auf eine sehr fehlerhafte und geschädigte Familie eingelassen, Jess.«
»Deswegen fühlt es sich aber auch so real an«, sagt Jess zufrieden.
»Schau nicht so gehetzt drein!«, meint Oliver. Er schiebt das Weinglas seiner Schwester weiter auf sie zu. »Hier ist niemand, den wir kennen. Kein Mensch wird plötzlich auftauchen und
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