Das Paradies auf Erden
dass sie ins Schwarze getroffen hatte. „Ich werde meine Erkundigungen fortsetzen. Hydepark, Kensington Gardens … “
“Ein lohnender Spaziergang, Madam. Essen um ein Uhr?”
“Gern, Cork. Ein leichter Imbiss genügt.”
Claudia hatte den neuen Rock und dazu die weichen Lederstiefel angezogen, aber ihre Hoffnung, dass Thomas es bemerken würde, hatte sich nicht erfüllt.
Wahrscheinlich wusste er schon nicht mehr, dass er gestern beides mit ihr gekauft hatte.
Da es windig war und mit Regenschauern gerechnet werden musste, zog Claudia einen leichten Pullover und den Trenchcoat an. Zu dem Mantel gehörte eine Kappe, die zu klein war, um ihr volles Haar darunter zu schützen, aber sie setzte sie trotzdem auf. Mit den neuen Lederhandschuhen und der neuen Umhängetasche über der Schulter verließ sie das Haus.
Cork hatte ihr vorsichtshalber einen kleinen Stadtplan mitgegeben, mittels dessen sie sich mühelos zurechtfand. Anfangs begegnete sie fast niemandem, aber je näher sie Marble Arch kam, umso dichter wurde der Verkehr. Sie benutzte die Unterführung und kam in den Hydepark, der um diese Tageszeit kaum besucht war.
Claudia genoss die Ruhe und die trübe Winterstimmung, die über der weiten Rasenfläche lag. Sie erreichte den See, der die Grenze zu Kensington Gardens bildete, und folgte ihm bis Rennie’s Bridge, wo sie abseits vom Weg einen kleinen Hund unter den Büschen sitzen sah. Da er nicht bellte oder sich sonst wie bemerkbar machte, ging sie weiter. Wahrscheinlich war der Besitzer in der Nähe und hatte den Hund vorübergehend dort abgesetzt.
Als sie eine Stunde später von Kensington Gardens zurückkam, saß der Hund immer noch da. Kurz entschlossen überquerte sie den Rasen und beugte sich unter die Büsche.
Es war ein sehr kleiner Hund, bis auf die Knochen abgemagert und schon halb erfroren. Er gab keinen Laut von sich, als Claudia sein nasses Fell berührte, nur sein Blick verriet, welche Angst er ausstand. Man hatte ihn mit einem Strick an den Busch gebunden und ihm so wenig Bewegungsfreiheit gelassen, dass er sich bei einem Fluchtversuch den Hals zuschnüren musste.
Claudia nahm die kleine zusammenlegbare Schere, die sie immer bei sich trug, und versuchte, den Strick durchzuschneiden. Das dauerte eine Weile, aber der Hund rührte sich nicht. Als er endlich frei war, hob Claudia ihn auf und barg ihn unter dem Aufschlag ihres Mantels , wo er zitternd stillhielt.
“Armes Würmchen”, sagte Claudia mitleidig. “Ich nehme dich mit nach Hause und sorge dafür, dass du nie wieder hungern oder frieren musst.“
Cork sah sie die Straße entlangkommen und öffnete die Tür, bevor sie ihren Schlüssel herausnehmen konnte.
“Ich habe diesen kleinen Hund gefunden, Cork”, sagte sie, ohne lange zu überlegen. “Er war im Hydepark an einen Busch gebunden und ist halb tot vor Hunger und Kälte.”
Cork betrachtete das kleine Tier. “Der Professor hat mehrmals angedeutet, dass er gern einen Hund hätte, Madam. Ich werde eine Kiste auslegen und neben den Herd stellen.”
“O Cork, würden Sie das tun? Und vielleicht etwas warme Milch … Sobald ich mich umgezogen habe, kümmere ich mich selbst um ihn.”
“Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte, Madam? Essen Sie erst, und gönnen Sie dem Hund etwas Ruhe. Wir müssen feststellen, ob er sich erholt.”
Der Hund schlief, als Claudia später in die Küche kam. “Danke, dass er hier sein darf, Cork”, sagte sie. “Ich sorge dafür, dass er Sie nicht stört.”
Cork lächelte. „Sie können auf mich zählen, Madam. Ich habe Hunde gern.”
“Wirklich?” Claudia fiel ein Stein vom Herzen. “Dann geht es Ihnen wie mir.”
Sie trug den Hund in den kleinen Salon neben Thomas’ Arbeitszimmer, den sie gern für sich allein benutzte, und ließ ihn am Kamin weiterschlafen. Später brachte Cork den Tee und einen kleinen Krug.
“Ei mit Milch, Madam”, erklärte er. “Wenn Sie dem Hund ab und zu einen Löffel davon geben …“
“Wie umsichtig, Cork! Er schläft und hat inzwischen aufgehört zu zittern. Ich werde ihn nachher waschen und bürsten.”
Claudia kniete gerade vor dem Kamin und fütterte den Hund, als Thomas leise hereinkam.
“Thomas!” Sie richtete sich schnell auf. “Wie schön, dass du da bist! Sieh nur, was ich heute Vormittag gefunden…” Sie unterbrach sich, denn Cork kam mit einem Tablett in den Händen herein. “Danke, Cork, ich schenke dem Professor selbst den Tee ein. Hattest du einen anstrengenden
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