Das Paradies auf Erden
wiederholte sie, als könnte sie dadurch nicht nur sich, sondern auch die treue Sprechstundenhilfe überzeugen. „Es war wirklich nicht wichtig.”
Claudia fühlte sich von den Ereignissen so überrumpelt, dass es ihr unmöglich erschien, ruhig zu Hause zu sitzen und Thomas’ Rückkehr zu erwarten - nur um dann sein abweisendes Gesicht zu sehen und zu hören, dass er für eine Unterhaltung zu müde sei.
In ihrer Verzweiflung lief sie in ihr Zimmer hinauf, zog sich warm an und suchte dann Cork in der Küche auf. “Ich brauche den Mini, Cork. Würden Sie ihn für mich aus der Garage holen? Ich mache derweil noch einen kurzen Gang mit Harvey.”
Sie nahm die Leine, nickte Cork zu und verließ mit Harvey das Haus. Während sie rasch mit ihm an die Ecke ging, überlegte sie krampfhaft, wie sie am besten zur Autobahn kommen würde. Es war noch früh, und auf den Straßen herrschte dichter Verkehr, aber die meisten Autos fuhren nach London hinein. In der anderen Richtung würde es leerer sein.
Als sie zurückkam, stand der Mini vor der Tür. Cork bedachte sie mit einem merkwürdigen Blick, aber er sagte nichts, übernahm Harvey und bat Claudia nur noch, vorsichtig zu fahren und gut auf den Verkehr zu achten.
“Keine Sorge, Cork, ich passe schon auf”, versicherte sie. “Übrigens werde ich zum Essen nicht da sein, und heute Abend genügt mir eine Kleinigkeit. Der Professor kommt spät.”
Claudia war eine gute Autofahrerin, aber der dichte Londoner Verkehr erschreckte sie. Wäre es ihr nicht lebenswichtig erschienen, möglic hst weit von Thomas wegzukommen, hätte sie ihren Plan möglicherweise doch noch aufgegeben.
Sie folgte genau der Strecke, die Thomas immer genommen hatte, und atmete auf, als sie von der Autobahn abbiegen und die kleineren Landstraßen benutzen konnte. Kurz vor Mittag erreichte sie Child Okeford, durchquerte das Dorf und bog in den schmalen Seitenweg ein, an dem “Christmas Cottage ” lag.
Der Himmel hatte sich während des Vormittags bezogen, und es begann sogar zu regnen. Das Cottage wirkte einsam und verlo ren, obwohl Claudia von drinnen Stimmen hörte. Sie stieg aus und öffnete die Haustür. Mehrere Männer waren mit den Renovierungsarbeiten beschäftigt, und beim Anblick dessen, was schon geleistet worden war, vergaß sie für einen Moment ihren Kummer.
Sie begrüßte die Männer, nannte ihren Namen und fragte, ob sie sich ein wenig umsehen dürfe. Niemand hatte etwas dagegen. Einer nahm sich sogar die Zeit, sie herumzuführen und zu erklären, was bereits getan worden war und was noch fehlte.
Sie trennten sich als gute Freunde, und Claudia suchte den Dorfpub auf, um eine Kleinigkeit zu essen. Der Wirt brachte Kaffee und Sandwiches, setzte sich eine Weile zu ihr und erzählte Neuigkeiten aus dem Dorf, so dass sie sich bald nicht mehr als Fremde fühlte.
Es dämmerte bereits, als Claudia zum Cottage zurückkam. Die Arbeiter brachen gerade auf. und nahmen an, dass sie ebenfalls abfahren würde. Sie setzte den Mini so weit zurück, dass die Männer bequem mit ihrem Kleintransporter vorbeikommen konnten, wartete, bis sie außer Sicht waren, und fuhr dann auf das Grundstück zurück, wo sie neben dem Cottage parkte.
Sie schloss mit ihrem eigenen Schlüssel auf und betrat das Haus. Es gab bereits einen Stromanschluss, aber nur in der Küche hing eine Glühbirne von der Decke. In einer Ecke stand ein alter Korbstuhl, der einzige Platz für Claudia, um sich auszuruhen.
Ihr Elan war verflogen. Es war dumm gewesen, hierher zu kommen, aber sie hatte Sehnsucht nach dem Ort gehabt, von dem sie sich so viel Glück versprochen hatte.
“Ich werde eine Weile hier sitzen und mich ausruhen”, sagte sie halblaut vor sich hin. “Bevor es dunkel wird, fahre ich zurück. Vielleicht kann ich Thomas noch alles erklären.”
Zum ersten Mal in seiner beruflichen Laufbahn fiel es Thomas Tait-Bullen schwer, sic h auf seine Arbeit zu konzentrieren. Der Wunsch, mit Claudia zu sprechen, beherrschte ihn immer mehr, und er hoffte, rechtzeitig zum Tee zu Hause zu sein. Sie mussten über sehr vieles sprechen. Ihre Vernunftehe entwickelte sich nicht so, wie es gedacht gewesen war. Schon nach wenigen Wochen drohte sie an Claudias Misstrauen zu scheitern, aber er würde ihr trotzdem sagen, dass er sie liebte.
Die Visite verlief routinemäßig, und die Sprechstunde war nicht so besucht wie sonst. In einem ruhigen Augenblick griff Thomas zum Telefonhörer und rief Cork an.
“Ist meine Frau zu Hause?”
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