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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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der von der Flucht aus dem dekadenten Europa des Geldes in eine exotische Welt geträumt hatte, um auf die Suche nach der elementaren, religiösen Kraft zu gehen, die der Zivilisationsprozeß dem Okzident geraubt hatte. Doch er hatte dem europäischen Gefängnis nicht entfliehen können. Du dagegen warst nach Tahiti gekommen und jetzt auf die Marquesas und versuchtest, den Traum des verrückten Holländers Wirklichkeit werden zu lassen.
    »Ich hab dir den Gefallen getan, ich hab deinen Traum verwirklicht, Vincent«, rief er laut. »Hier ist es, das Haus der Wonnen, das Haus des Orgasmus, mit dem du mir in Arles so auf die Nerven gegangen bist. Es ist nicht geworden, was wir dachten. Das ist dir doch klar, nicht wahr, Vincent?«
    Es war niemand in seiner Nähe, niemand konnte ihm antworten. Nur die Katze und der Hund, die du in das unlängst fertiggestellte Haus von Atuona aufgenommen hattest,waren da und betrachteten dich aufmerksam, als verstünden sie die Bedeutung deiner ins Leere gebrüllten Worte, die bestimmt die Hähne, Katzen und kleinen Wildpferde aufscheuchten, von denen die Wälder Hiva Oas wimmelten.
    Auch über Religion hatten sie in Arles viel gesprochen und gestritten. Was für ein Unterschied zwischen der protestantischen, puritanischen Erziehung, wie Vincent sie erhalten hatte, und der katholischen, in der du in den zehn Jahren aufgewachsen warst, die du zwischen 1854 und 1864 in dem kleinen Seminar der Chapelle Saint-Mesmin, in der Nähe von Orléans, unter der geistigen Obhut des Bischofs Dupanloup verbracht hattest. Mit welcher kam man besser durchs Leben, Koke? Vincents Erziehung war intensiver, strenger, strikter, kälter, ehrlicher, aber auch unmenschlicher. Die katholische war zynischer, willfähriger gegenüber der korrupten Natur des Menschen, reicher und schöpferischer vom kulturellen, künstlerischen Standpunkt aus und wahrscheinlich menschlicher, näher der Wirklichkeit, dem möglichen Leben. Erinnertest du dich an jenen Abend im Gelben Haus, mit Regen und Mistral, an dem der verrückte Holländer auf einmal von Christus als Künstler gesprochen hatte? Du unterbrachst ihn nicht ein einziges Mal, Paul. Christus sei der größte der Künstler, sagte Vincent. Doch er verachtete den Marmor, den Ton, die Malfarben und zog es vor, sein Werk am lebendigen Fleisch der Menschen zu vollbringen. Er machte keine Statuen, Bilder noch Gedichte. Er machte unsterbliche Wesen, schuf die Werkzeuge, dank deren die Männer und Frauen aus ihrem Leben ein vollkommenes, herrliches Kunstwerk machen konnten. Er sprach lange, trank Absinth in kurzen Schlucken und sagte ab und zu Dinge, die du nicht entziffern konntest. Was du jedoch sehr wohl verstandest und nie vergessen konntest, war das, was Vincent dir im Morgengrauen mit Tränen in den Augen und fast schreiend verkündete:
    »Ich möchte, daß meine Malerei die Menschen geistigstärkt, Paul. Wie das Wort Christi sie stärkte. In der klassischen Malerei war es die Aureole, die auf das Ewige verwies. Diese Aureole versuche ich jetzt durch die Irradiation und Vibration der Farbe auf meinen Bildern zu ersetzen.«
    Seitdem betrachtetest du diese maßlosen, heftigen Farben mit mehr Respekt als zuvor, Paul, auch wenn dich der Anblick des gleißenden Lichts, der Feuerwerke, die Vincents Bilder waren, nicht sehr begeisterte. Es gab im verrückten Holländer eine Berufung zum Martyrium, die dich bisweilen schaudern ließ.
    Es ging ihm zwar nicht gut, doch die Niederlassung in Atuona, der Bau des Hauses der Wonnen und die neuen Freunde verbesserten Kokes Stimmung. In den ersten Wochen in seinem neuen Heim war er guter Dinge und voller Pläne. Er begriff jedoch allmählich, wenn auch widerwillig, daß die Marquesas vielleicht einmal ein Paradies gewesen waren, es damit jedoch längst vorbei war. Wie auf Tahiti. Die Marquesanerinnen waren freilich wunderschön, schöner noch als die Tahitianerinnen. Zumindest kam es ihm so vor. Denn Ky Dong, der Gendarm Désiré Charpillet, Emile Frébault und sein Nachbar Tioka, sie alle sagten ihm lachend, daran sei sein schlechtes Sehvermögen schuld, denn viele dieser neugierigen Frauen, die in das Haus der Wonnen kamen, damit er ihnen seine pornographischen Photos zeigte – seine Sammlung war in ganz Hiva Oa berühmt –, und die er photographierte und dreist vor ihren Ehemännern berührte, waren nicht jung und attraktiv, wie er glaubte, sondern alt und häßlich, und bei manchen waren Gesichter und Körper von der Elephantiasis,

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