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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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einem Bleistift, damit jeder den Betrag vermerken konnte, den er entnahm. Paul protestierte schließlich: Vincent nahm sich den Löwenanteil, vor allem für das, was er als »hygienische Maßnahmen« vermerkte: seine Besuche bei Rachel, einer jungen, dürren Prostituierten, mit der er sich im Bordell von Madame Virginie zu vergnügen pflegte, das nicht weit vom Gelben Haus entfernt in einer der Gassen lag, die von der Place Lamartine abgingen.
    Das Rotlichtviertel von Arles war ein weiterer Grund zum Streit. Paul warf Vincent vor, er gehe nur mit Prostituierten ins Bett; er hingegen ziehe es vor, die Frauen zu verführen, statt sie zu bezahlen. Was im übrigen ziemlich leicht war bei den Frauen von Arles, die sich von seinem guten Aussehen, seiner Redegabe und seiner überschäumenden Lebenskraft bezaubern ließen. Vincent erklärte ihm, er sei vor Pauls Ankunft zweimal im Monat zu Madame Virginie gegangen; jetzt dagegen zweimal in der Woche. Dieser plötzliche sexuelle Furor ängstige ihn; er sei überzeugt, daß die Energie, die ihn die »Unzucht« koste, ihm von seiner Arbeit als Künstler abgehe. Paul spottete kräftig über die puritanischen Ängste des ehemaligen lutheranischen Predigers. Ihn seinerseits trieb nichts stärker dazu, zum Pinsel zu greifen, als eine befriedigte Rute.
    »Nein, nein«, sagte der verrückte Holländer verzweifelt.»Ich habe meine besten Bilder in Zeiten totaler sexueller Enthaltsamkeit gemalt. Meine Samenmalerei! Ich habe sie mit der ganzen sexuellen Energie gemalt, die ich auf die Leinwand statt auf die Frauen verwandt habe.«
    »Was für ein Blödsinn, Vincent. Aber vielleicht habe ich ja sexuelle Energie im Überfluß, für meine Bilder und für meine Frauen.«
    Euch trennte mehr, als euch verband, und doch, wenn du ihn mit einer so naiven Freude von der Gemeinschaft mönchischer Künstler sprechen hörtest, die weltabgewandt, ohne Verbindung mit der materialistischen Zivilisation, in einem fernen, ursprünglichen Land leben würden, mit Leib und Seele der Malerei hingegeben und durchdrungen von einer Brüderlichkeit ohne Makel, dann ließest du dich bisweilen mitreißen vom Traum deines Freundes. Es war bewegend, aber natürlich! Es lag etwas Schönes, Edles, Uneigennütziges, Großzügiges in diesem Bestreben des Holländers, eine Gesellschaft reiner Künstler, Schöpfer, Träumer, weltlicher Heiliger zu gründen, die sich der Kunst weihen würden, wie sich die mittelalterlichen Ritter einst dem Kampf für ein Ideal oder eine Dame geweiht hatten, ein Traum, der vielleicht gar nicht so verschieden war von denen, die deine eigene Großmutter geträumt hatte, als sie zu Tode erschöpft durch Frankreich zog und versuchte, Anhänger für die Revolution zu gewinnen, die den Übeln der Menschheit ein Ende machen sollte. Die Großmutter Flora und der verrückte Holländer hätten sich gut verstanden, Koke.
    Selbst über das Atelier des Südens waren sie unterschiedlicher Meinung. Eines Abends, im Café an der Place du Forum, wo sie nach dem Abendessen einen Absinth auf der Terrasse zu trinken pflegten, schlug Vincent ihm vor, sie sollten den Maler Seurat einladen, sich der Künstlergemeinschaft anzuschließen. »Diesen Punktefabrizierer, der sich als Künstler ausgibt?« rief er aus. »Niemals.« Er schlug dagegen vor, den Pointillisten durch Puvis de Chavannes zu ersetzen, den Vincent ebenso verabscheute wieer Seurat. Die Debatte dauerte bis zum Morgengrauen. Du konntest die Streitereien bald vergessen, Paul; Vincent nicht. Er war blaß, ängstlich, grübelte tagelang über die Angelegenheit nach. Für den verrückten Holländer war nichts bedeutungslos, banal, alles berührte einen neuralgischen Punkt der Existenz, die großen Probleme: Gott, das Leben, den Tod, den Wahnsinn, die Kunst.
    Wenn du dem verrückten Holländer etwas zu verdanken hattest, dann die Tatsache, daß er zum ersten Mal das Verlangen nach Polynesien in dir geweckt hatte. Schuld war ein Roman, der ihm in die Hände gefallen war und der ihn begeistert hatte: Rarahu oder Le mariage de Loti , den ein Offizier der französischen Handelsmarine, Pierre Loti, verfaßt hatte. Er spielte auf Tahiti und beschrieb ein irdisches Paradies vor dem Sündenfall, eine schöne, fruchtbare Natur mit freien, gesunden Menschen ohne Vorurteile noch Bosheit, die sich dem Leben und der Lust unbefangen, spontan, voll ursprünglicher Begeisterung und Energie hingaben. Wie paradox war doch das Leben, nicht wahr, Koke? Es war Vincent gewesen,

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