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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Würdelosigkeit, Mutlosigkeit versanken. Er stellte den Spiegel neben die Staffelei und arbeitete etwas mehr als zwei Wochen lang, versuchte, das Bild auf die Leinwand zu übertragen, das seine ruinierten Pupillen mühsam erfaßten, das sich zu entziehen, zu verschwimmen schien: ein besiegter, aber noch nicht toter Mann, der dem unausweichlichen, nahen Ende mit Gleichmut und einer gewissen Weisheit entgegensah, die sich hinter den demütigenden Brillengläsern in seinem gelassenen Blick abgelagert hatte, Summe eines intensiven Lebens voller Abenteuer, Torheiten, Suche, Niederlagen, Kämpfe. Ein Leben, das endlich zu Ende ging, Paul. Dein Haar war weiß und kurz, du warst schmal und still und sahst ruhigen Mutes dem letzten Ansturm entgegen. Du warst dir nicht sehr sicher, aber du ahntest, daß von den zahllosen Selbstbildnissen, die du von dir gemalt hattest – als bretonischer Bauer, als peruanischer Inka auf dem Bauch eines Kruges, als Jean Valjean, als Christus auf dem Ölberg, als Bohemien, als Romantiker –, dieses Bild, das des Abschieds, des Künstlers am Ende seines Weges, dir am meisten gerecht wurde.
    Die Arbeit an diesem Selbstbildnis erinnerte dich an das Porträt, das du in jenen Wochen, in denen der Regen und der Mistral euch im Gelben Haus in Arles festhielten, von Vincent gemalt hattest, Vincent beim Malen von Sonnenblumen, der Blume, die ihn obsessiv beschäftigte. Er malte sie wieder und wieder und bezog sich oft auf sie, wenn er seine Theorien zur Malerei erläuterte. Diese Blumen folgten der Bewegung der Sonne nicht aus Zufall oder in blinderBefolgung der physischen Gesetze. Sie bargen etwas vom Feuer des königlichen Gestirns in sich, und wenn man sie mit der Hingabe und der Hartnäckigkeit betrachtete, mit der es Vincent tat, bemerkte man an ihnen die »Aureole«, die sie umgab. Wenn er sie malte, dann sollten sie nicht nur Sonnenblumen, sondern auch Fackeln, Kandelaber sein. Was für ein Wahnsinn! Als der verrückte Holländer dir zum ersten Mal das Gelbe Haus zeigte, wies er stolz auf die von ihm gemalten Sonnenblumen, die über deinem Bett geradezu in flüssigem, glühendem Gold loderten. Du konntest dein Mißfallen kaum verbergen. Deshalb hattest du ihn umgeben von Sonnenblumen porträtiert. Das Porträt hatte – ganz bewußt – nicht das vibrierende Licht, das Vincent seinen Bildern gab. Im Gegenteil, es war leicht gedeckt, matt, und sowohl die Blumen als auch der Maler waren verwischt, lösten sich in ihren Konturen auf. Vincent war weniger ein fest umrissenes, konsistentes menschliches Wesen als ein unbestimmtes Etwas, eine große steife, ausgestopfte Figur, von unerträglicher Spannung beherrscht, kurz davor, zu explodieren, in Flammen aufzugehen: ein Vulkan-Mensch. Die Steifheit des rechten Arms vor allem, der den Pinsel hielt, ließ die übermenschliche Anstrengung erkennen, die er vollbringen mußte, um weiterzumalen. Und das alles stand in seinem finsteren Gesicht, in seinem benommenen Blick, mit dem er zu sagen schien: »Ich male nicht, ich opfere mich.« Vincent gefiel dieses Porträt überhaupt nicht. Als du es ihm zeigtest, betrachtete er es eine ganze Weile, sehr blaß, während er sich auf die Unterlippe biß, ein Tick, der ihn in schlechten Augenblicken überfiel. Schließlich murmelte er: »Ja, das bin ich. Aber als Wahnsinniger.«
    Warst du es denn nicht, Vincent? Natürlich warst du es. Was Paul zunehmend davon überzeugte, waren die plötzlichen Stimmungswechsel, unter denen sein Freund litt, war die Geschwindigkeit, mit der er von übertriebener, lästiger Schmeichelei zu Aggressivität, zu absurden Streitereien wechseln oder ihn für Nichtigkeiten beschimpfenkonnte. Nach jedem Streit verfiel er in eine tödliche Lethargie, in eine Reglosigkeit, aus der Paul, besorgt, ihn mit schönen Worten, Gläsern Absinth oder dadurch befreien mußte, daß er ihn zu Madame Virginie schleppte, damit er mit Rachel ins Bett gehen konnte.
    Und so faßtest du den Entschluß: Es war Zeit zu gehen. Dieses Zusammenleben würde ein böses Ende finden. Du versuchtest taktvoll, ihn vorzubereiten, indem du bei den Tischgesprächen wie nebenbei bemerktest, du seist aus familiären Gründen womöglich gezwungen, Arles vor Ablauf des Jahres zu verlassen, das ihr gemeinsam hattet verbringen wollen. Es wäre besser gewesen, du hättest es nicht getan, Paul. Der Holländer erkannte sofort, daß du die Entscheidung der Abreise längst getroffen hattest, und verfiel in einen Zustand hysterischer

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