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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Katholiken der Insel, weil sie von ihm als Herausgeber von Les Guêpes gehört hatten, wie einen der Ihren empfangen. Doch sein haltloses Leben, seine Besäufnisse, sein intimer Umgang mit den Eingeborenen und die bösen Legenden über die Vorgänge im Haus der Wonnen machten ihn bald zu einem Ausgestoßenen. Die Protestanten, die er in Les Guêpes so heftig attackiert hatte, betrachteten ihn aus der Ferne, voll Ressentiment.Die plötzliche Abreise von Doktor Buisson, der Mitte Juni nach Papeete versetzt wurde, veranlaßte ihn jedoch, sich Paul Vernier, dem protestantischen Pastor, zu nähern, den er in seiner Zeitung einst persönlich angegriffen hatte. Ky Dong und Tioka brachten ihn zu ihm, da er nach ihren Worten die einzige Person in Atuona war, die einige medizinische Kenntnisse besaß und ihm helfen konnte. Pastor Vernier, ein sanftmütiger, großzügiger Mann, empfing ihn ohne eine Spur von Groll wegen der Beleidigungen, deren Opfer er gewesen war, und versuchte tatsächlich, ihm mit Salben und Beruhigungsmitteln für die Beine zu helfen. Sie taten eine gewisse Wirkung, denn im Juli 1902 war er wieder imstande, aus eigenen Kräften ein paar Schritte zu tun.
    Um seine vorübergehende Besserung zu feiern, hatte der Gendarm Désiré Charpillet die Idee, ihn – da er ein Künstler war – zum Schiedsrichter des traditionellen Musikwettbewerbs zu ernennen, der am 14. Juli zwischen den Chören der beiden Schulen der Insel, der katholischen und der protestantischen, ausgetragen wurde. Die Rivalität zwischen den beiden Missionen äußerte sich in den nichtigsten Dingen. Um diese Rivalität nicht weiter zu verschärfen, fällte Paul ein salomonisches Urteil: ein Unentschieden zwischen den Konkurrenten. Doch diese Verteilung stellte die beiden Kirchen nicht zufrieden, und beide waren verärgert über ihn. So daß er sich also inmitten von Vorwürfen und allgemeiner Feindseligkeit in das Haus der Wonnen zurückziehen mußte.
    Doch als er mit dem kleinen Ponywagen nach Hause gelangte, empfing ihn eine angenehme Überraschung. Dort erwartete ihn sein Nachbar Tioka, der Maori mit dem weißen Bart. Sehr ernst erklärte er ihm, er betrachte ihn nach der nun abgelaufenen Zeit als einen wahren Freund. Und er wolle ihm vorschlagen, die Zeremonie der gegenseitigen Freundschaft zu zelebrieren. Sie sei sehr einfach. Sie bestehe darin, die jeweiligen Namen auszutauschen, ohne die eigenen aufzugeben. So machten sie es, und fortan hießsein Nachbar Tioka-Koke und er Koke-Tioka. Jetzt warst du ein echter Marquesaner, Koke.

XVII

Worte, um die Welt zu verändern
Montpellier, August 1844
    Flora hatte sich fest vorgenommen, ihren Aufenthalt in Montpellier, wo sie am 17. August 1844 aus Nîmes eintraf, ausschließlich zur Erholung zu nutzen. Sie mußte sich ausruhen. Sie war erschöpft; die Ruhr dauerte nun schon zwei Monate, und jede Nacht spürte sie in der Brust, unter heftigen stechenden Schmerzen, die Kugel nah an ihrem Herzen. Doch das Schicksal wollte es anders. Im Hôtel du Cheval Blanc, wo ein Zimmer für sie reserviert war, schlug man ihr die Tür vor der Nase zu. »Wie in allen anständigen Häusern nehmen wir hier Damen nur in Begleitung ihrer Eltern oder ihres Ehemannes auf«, wies der Direktor sie zurecht.
    Sie wollte ihm schon antworten: »Na, in Nîmes hat man mir gesagt, das Hôtel du Cheval Blanc sei so etwas wie das Bordell von Montpellier«, als ein Handlungsreisender, der gleichzeitig mit ihr eingetroffen war, ihr zuvorkam und sich als Beschützer der Dame anbot. Der Hotelier zögerte. Flora war gerührt, doch dann begriff sie, daß der galante Herr darauf bestand, ein einziges Zimmer für sie beide zu nehmen. »Halten Sie mich für eine Hure?« fuhr sie ihn an, während sie ihm zugleich eine schallende Ohrfeige verpaßte. Der Trottel stand benommen da und rieb sich das Gesicht. Sie ging hinaus auf die Straßen von Montpellier, mit Koffern beladen, um ein Refugium zu suchen. Sie fand es erst am Mittag, im Hôtel du Midi, einer im Bau befindlichen Herberge, wo sie der einzige Gast war. Die sieben Tage in der Stadt lebte sie umgeben vom Lärm und vom Hin und Her der Maurer und anderer Arbeiter, die, an den Gerüsten hängend, das Hotel renovierten und erweiterten. Sie war so müde, daß sie trotz der Lärmbelästigung darauf verzichtete, eine andere Unterkunft zu suchen.
    In den ersten vier Tagen traf sie sich weder mit Arbeitern noch mit den örtlichen Saintsimonisten oder Fourieristen, für die sie Empfehlungsbriefe

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