Das Paradies ist anderswo
zu vergreifen. Und tatsächlich, am gleichen Tag, an dem er dich befragte, um zu sehen, ob er dich als Lehrling nehmen würde, musterte er dich von oben bis unten und ließ seinen vulgären Blick in aller Dreistigkeit auf deiner Brust und deinen Hüften ruhen.
André Chazal! Was für einen armen Teufel hatte dir der Zufall oder womöglich der liebe Gott da zugeführt, damit du ihm deine Jungfräulichkeit schenktest, Florita. Ein hochgewachsener, leicht gebeugter Mann mit strohfarbenem Haar, breiter Stirn, kühnen, lauernden Augen und einer vorspringenden Nase, die ständig den Gerüchen der Umgebung auf der Spur war. Du hattest ihn auf den ersten Blick verführt mit deinen großen tiefen Augen und deiner schwarzen, gelockten Haarmähne, Andalusierin. (War André Chazal der erste, der dir diesen Beinamen gab?) Er war zwölf Jahre älter als du, und im Gedanken an die verbotene Frucht dieser kleinen Jungfrau mußte ihm das Wasser imMund zusammenlaufen. Unter dem Vorwand, dir das Handwerk beizubringen, rückte er dir auf den Leib, nahm deine Hand, faßte dich um die Taille. So werden die Säuren gemischt, die Farben ausgewechselt, Vorsicht mit dem Finger, hier verbrennst du dich, und schon klebte er an dir, rieb dir das Bein, den Arm, die Schultern, den Rücken. Deine Kolleginnen scherzten mit dir: »Du hast den Patron erobert, Florita.« Amandine, deine beste Freundin, prophezeite dir: »Wenn du nicht nachgibst, wenn du ihm widerstehst, wird er dich heiraten. Denn du machst ihn verrückt, das schwör ich dir.«
Ja, du machtest ihn verrückt: André Chazal, Graveur und Lithograph, Nachtschwärmer, Spieler und Trinker. So verrückt, daß er sich eines Tages, nach billigem Wein riechend und mit hervortretenden Augen, erlaubte, dir mit seinen großen Pranken an die Brust zu greifen. Deine Ohrfeige ließ ihn taumeln. Er wurde blaß und schaute dich verdutzt an. Statt sie zu entlassen, wie Flora fürchtete, erschien er zerknirscht und mit einem Strauß Lilien in der Hand in der Höhle der Rue du Fouarre, um Madame Tristan um Entschuldigung zu bitten: »Madame, ich habe ernste Absichten, was Ihre Tochter betrifft.« Madame Aline war darüber so erfreut, daß sie zu lachen begann und Flora umarmte. Es war das einzige Mal, daß du deine Mutter so herzlich und froh erlebtest. »Was hast du doch für ein Glück«, sagte sie immer wieder, während sie dich voll Zärtlichkeit betrachtete. »Danke Gott dafür, meine Tochter.«
»Glück, weil Monsieur Chazal mich heiraten will?«
»Glück, weil er bereit ist, dich zu heiraten, obwohl du eine Bastardin bist. Glaubst du, es gibt viele, die das tun würden? Danke ihm auf Knien dafür, Florita.«
Diese Ehe war der Anfang vom Ende ihrer Beziehung zu ihrer Mutter; in dieser Zeit hörte Flora allmählich auf, sie zu lieben. Sie wußte, daß sie ein uneheliches Kind war, weil die Ehe ihrer Eltern, die ein französischer Geistlicher einst in Bilbao abgesegnet hatte, zivilrechtlich keine Gültigkeitbesaß, aber erst jetzt wurde ihr bewußt, daß die Tatsache, eine Bastardin zu sein, ihr von Geburt an eine Schuld auflud, die ebenso schrecklich war wie die Erbsünde. Daß André Chazal, ein fast bürgerlich zu nennender Unternehmer, bereit war, ihr seinen Namen zu geben, war ein Segen, ein Glück, für das du von ganzem Herzen dankbar sein mußtest. Doch das Ganze hinterließ den gleichen Nachgeschmack, den du jetzt zu vertreiben versuchtest, indem du dir den Mund mit Minzwasser ausspültest, bevor du in der Herberge in Avallon zu Bett gingst.
Wenn das, was du für Monsieur Chazal empfandest, Liebe war, dann war die Liebe eine Lüge. Sie hatte nichts zu tun mit der Liebe in den Romanen, diesem zarten Gefühl, dieser poetischen Schwärmerei, diesem brennenden Begehren. Daß André Chazal, dein Patron und noch nicht dein Ehemann, dich in seinem Büro in der Werkstatt in Besitz nahm, auf dieser Chaiselongue mit den knarrenden Federn, als deine Kolleginnen gegangen waren, erschien dir nicht romantisch, schön oder gefühlvoll. Eher widerwärtig und schmerzhaft. Der nach Schweiß riechende Körper, der sie erdrückte, die klebrige Zunge mit dem Geruch nach Tabak und Alkohol, das Gefühl, zwischen Schenkeln und Unterleib zerrissen zu werden, bereiteten ihr Übelkeit. Trotzdem, dämliche Florita, unvorsichtige Andalusierin, schriebst du André Chazal nach dieser widerlichen Vergewaltigung – denn das war es, nicht wahr? – jenen Brief, den der elende Kerl siebzehn Jahre später vor einem
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