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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Haapuani.«
    »Kann ich dich etwas fragen, Koke?« Tohotama war den ganzen Morgen stumm und still gewesen, und Paul hatte ihre Anwesenheit gar nicht bemerkt. »Warum hast du meinem Mann diesen roten Umhang über die Schultern gelegt? Haapuani hat sich nie so gekleidet. Ich kenne auch niemanden in Hiva Oa oder in Tahuata, der das tut.«
    »Das sehe ich eben auf den Schultern deines Mannes, Tohotama.« Koke fühlte sich angeregt, als er ihre tiefe, feste Stimme hörte, die so gut zu ihrer kräftigen Figur und ihrem rötlichen Haar, zu ihren schwellenden Brüsten, breiten Hüften und stämmigen, schimmernden Schenkeln paßte, all diese schönen Dinge, die es jetzt nur noch in seiner Erinnerung gab. »Ich sehe das ganze Blut, das die Maori im Lauf ihrer Geschichte vergossen haben. Indem sie einander bekämpften, sich für Nahrung und Land vernichteten, sich gegen Invasoren aus Fleisch und Blut oderDämonen aus der anderen Welt verteidigten. In diesem roten Umhang steckt die ganze Geschichte deines Volkes, Tohotama.«
    »Ich sehe nur einen roten Umhang, den niemand hier getragen hat«, beharrte sie. »Und diese Kapuzen? Sind das zwei Frauen, Koke? Oder sind das Männer? Sie können nicht von den Marquesas sein. Noch nie habe ich hier eine Frau oder einen Mann mit einer solchen Kopfbedeckung gesehen.«
    Er verspürte das Verlangen, sie zu liebkosen, aber er versuchte es nicht. Du würdest die Arme ausstrecken und in die Luft greifen, denn sie könnte dir mit Leichtigkeit ausweichen. Dann hättest du das Gefühl, dich lächerlich zu machen. Doch daß du sie begehrt hattest, und sei es auch nur einen Augenblick, freute dich, denn eine der Folgen der fortschreitenden unaussprechlichen Krankheit war das fehlende körperliche Verlangen. Du warst noch nicht ganz tot, Koke. Noch ein wenig Geduld und Ausdauer, und du würdest dieses verfluchte Bild beenden.
    Vielleicht stimmte es doch, was Bischof Dupanloup in seinem Religionsunterricht im Seminar der Chapelle Saint-Mesmin, in deiner Kindheit in Orléans, so gern wiederholt hatte, wenn er die Helden der Christenheit pries: Gerade dann, wenn die sündige Seele am tiefsten gefallen war, konnte sie sich emporschwingen und höher fliegen, wie Robert der Teufel, der absolute Böse, der als Heiliger endete. So war es dir ergangen nach jenem grauenvollen Winter in Paris, als du fühltest, wie du immer tiefer im Morast versankst. Von diesem Augenblick an begannst du ganz allmählich zur Oberfläche emporzusteigen, zur reinen Luft. Das Wunder hatte einen Namen: Pont-Aven. Viele Maler und Kunstfreunde sprachen von der Bretagne, von der Schönheit ihrer ungezähmten Landschaft, ihrer Abgeschiedenheit, ihren romantischen Stürmen. Für dich gab es zwei Gründe für die Anziehungskraft der Bretagne, einen ideellen und einen praktischen. In Pont-Aven, einem kleinen Dorf im bretonischen Finistère, würdest du noch einearchaische Kultur finden, Menschen, die in stolzer Verachtung für die Modernisierungsbemühungen des Staates und der Hauptstadt Paris an ihren traditionellen Glaubensvorstellungen und Sitten festhielten. Zudem konntest du dort mit wenig Geld leben. Auch wenn die Dinge sich nicht so entwickeln sollten, wie du gehofft hattest, war deine Reise nach Pont-Aven – dreizehn Stunden Zugfahrt, auf der Route über Quimperlé – in jenem sonnigen Juli 1886 doch die bislang beste Entscheidung deines ganzen Lebens.
    Denn in Pont-Aven hattest du nun wirklich begonnen, ein Maler zu sein. Ein großer Maler, Koke. Auch wenn die Snobs und Hohlköpfe im frivolen Paris ihn schon vergessen haben mochten. Er erinnerte sich ganz genau, wie er, zerschlagen von der langen Reise, auf dem dreieckigen kleinen Platz des malerischen Postkartendorfes angekommen war, das inmitten eines fruchtbaren, von bewaldeten Hügeln umrahmten Tales lag und gekrönt wurde vom Bois d’Amour, in dem man in der salzigen Abendluft die Nähe des Meeres spürte. Hier logierten die Bemittelten, die Nordamerikaner und Engländer, die auf der Suche nach Lokalkolorit herkamen: im Hôtel des Voyageurs und im Lion d’Or. Es waren nicht diese Hotels, die du suchtest, sondern die bescheidene Herberge von Madame Gloanec, die töricht oder eine Heilige war, denn sie nahm in ihrer Pension notleidende Künstler auf und akzeptierte als Bezahlung für Kost und Logis die von ihnen gemalten Bilder, wenn sie kein Geld hatten. Die beste Entscheidung deines Lebens, Koke! Eine Woche nachdem du dich in der Pension Gloanec niedergelassen hattest,

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