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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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stolz, bis hierher gekommen zu sein, auch wenn es in diesem Zustand war. Malen hatte einen Preis, und du hattest ihn bezahlt. Als du nach den Sommer- und Herbstmonaten in Pont-Aven nach Paris zurückkehrtest, um dort dem Winter zu trotzen, warst du ein anderer. Du hattest die Haut und den Geist gewechselt; du warst euphorisch, selbstsicher, verrückt vor Freude darüber, daß du endlich deinen Weg gefunden hattest. Und begierig auf Ungeheuerliches, auf Skandal. Eine deiner ersten Taten in Paris bestand darin, die schöne Louise zu belagern, die Frau des guten Schuff, mit der du dir bislang nur Koketterien erlaubt hattest. Jetzt, voll des neuen rebellischen, verwegenen, bilderstürmerischen, anarchischen Geistes, nutztest du euer erstes Alleinsein – der gute Schuff gab seinen Zeichenunterricht in der Akademie –, um dich auf Louise zu stürzen. Konnte man sagen, daß du sie mißbraucht hattest, Paul? Das wäre übertrieben. Du hattest sie allenfalls verlockt und verführt. Denn Louise widerstand nur am Anfang, eher der Form halber als aus Überzeugung. Und sie schien diesen Fehltritt später nie zu bereuen.
    »Sie sind ein Wilder, Paul. Wie können Sie es wagen, mich anzufassen?«
    »Du hast es gesagt, ma belle . Weil ich ein Wilder bin. Meine Moral ist keine bürgerliche. Jetzt bestimmen meine Triebe meine Taten. Dank dieser neuen Philosophie werde ich ein großer Künstler sein.«
    Eine Grundsatzerklärung, Koke, die sich als prophetisch erwies. Ob wohl der gute Schuff von jenem Verrat erfahrenhatte? Wenn, dann war er imstande gewesen, dir zu verzeihen. Ein höheres Wesen, dieser Elsässer. Sehr viel besser als du, zweifellos, aus der Sicht der zivilisierten Moral. Und wohl deshalb war der gute Schuff ein so schlechter Maler.
    Am nächsten Tag, nach den letzten Retuschen, zahlte Koke Haapuani die vereinbarte Summe. Das Bild war fertig. War es das? Du hofftest es. Wie auch immer, dir blieben weder körperliche noch geistige Kräfte, um die Arbeit an ihm fortzusetzen.

XXI

Die letzte Schlacht
Bordeaux, November 1844
    Als Flora Tristan an jenem verhängnisvollen 24. September 1844 kurz nach ihrer Ankunft in Bordeaux die Einladung annahm, von einer Loge des Grand Théâtre aus dem Konzert des Pianisten Franz Liszt beizuwohnen, ahnte sie nicht, daß dieses mondäne Ereignis, bei dem die Damen von Bordeaux ihren Schmuck und ihre eleganten Kleider vorführten, ihr letzter öffentlicher Auftritt sein würde. Die Wochen, die ihr noch blieben, sollte sie in einem Bett verbringen, ausgerechnet bei zwei Saintsimonisten, dem Ehepaar Elise und Charles Lemonnier, dem sie sich vor einem Jahr nicht hatte vorstellen lassen wollen, weil es ihr zu bürgerlich war. Ironien des Schicksals, Florita, bis zum letzten Tag deines Lebens.
    Sie fühlte sich nicht unwohl, als sie in Bordeaux eintraf; nur müde, zornig und enttäuscht, denn seit ihrer Abreise aus Carcassonne hatten ihr sowohl in Toulouse als auch in Agen die königlichen Präfekte und Kommissare das Leben schwergemacht, waren bei ihren Versammlungen aufgetaucht und hatten sie verboten oder die Arbeiter sogar mit Stockschlägen auseinandergetrieben. Ihr Pessimismus hatte nichts mit ihrer Gesundheit zu tun, sondern mit den Behörden, die entschlossen waren, mit allen Mitteln zu verhindern, daß sie ihre Rundreise vollendete.
    Als du vor fünf Jahren aus London zurückgekehrt warst und voller Begeisterung für die Idee eines großen Bündnisses von Frauen und Arbeitern eine rastlose Tätigkeit in Angriff genommen hattest, um Kontakte zu Arbeitern zu knüpfen, wie hättest du da ahnen können, daß dich am Ende eine Staatsgewalt bedrängen würde, die dich als subversiv betrachtete, dich, eine überführte und geständigePazifistin? Du warst nicht nur voller Hoffnungen und Träume nach Paris zurückgekehrt, sondern auch mit guter Gesundheit. Du verfolgtest eifrig die beiden wichtigsten Arbeiterzeitschriften, L’Atelier und La Ruche Populaire (die einzigen Publikationen, die deine Spaziergänge durch London gelobt hatten), und besuchtest und studiertest sämtliche Propheten, Philosophen, Lehrmeister und Theoretiker der gesellschaftlichen Veränderung, was dir zuweilen eher verwirrend und chaotisch erschien als lehrreich. Denn unter den Sozialisten und anarchistischen Reformern gab es zahlreiche Spinner und Exzentriker, die den größten Unsinn predigten. Zum Beispiel der charismatische, totengräberhafte Bildhauer Ganneau – bei der Erinnerung mußtest du laut lachen –, der

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