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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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für wenige Tage gesehen hattet – sie ließ nicht zu, daß du sie berührtest –, war die Wikingerin vor dem Gesetz nach wie vor deine Frau. Seit wie vielen Monaten schrieb dir Mette nicht mehr, Koke?
    Er kam ohne einen Centime in der Tasche in Paris an, mit einem Kind, für das er sorgen mußte, und fand Unterschlupf beim guten Schuff, in dessen Wohnung in der Rue Boulard, von deren Fenstern aus du die Grabsteine des Friedhofs von Montparnasse sehen konntest. Du warst siebenunddreißig Jahre alt, Koke. Warst du dabei, ein wirklicher Maler zu werden? Noch nicht. Da es in der Wohnung keinen Platz zum Arbeiten gab, gingst du hinaus, um auf der Straße zu zeichnen und zu malen, stehend neben einer Kastanie im Jardin du Luxembourg, sitzend auf den Parkbänken, am Ufer der Seine, in Hefte und auf Leinwände, die Freund Schuff dir schenkte, der dir auch, ohne daß seine Frau Louise es merkte, bisweilen ein paar Francs in die Tasche steckte, damit du dich um die Mittagszeit eine Weile auf die Terrasse eines Cafés setzen konntest. War es in diesem Sommer 1885, daß dich in schlaflosen Nächten der angstvolle Gedanke quälte, all das, was du tatest, könnte ein gewaltiger Irrtum, ein unsinniges Unterfangen sein, das du bereuen würdest? Nein, die Zeit äußerster Verzweiflung kam später. Im Juli, nach dem Verkauf eines weiteren Bildes aus deiner Impressionistensammlung (es waren nur noch wenige übrig, und sie befanden sich alle in Mettes Händen), fuhrst du nach Dieppe. Dort verbrachte eine Kolonie dir bekannter Maler den Sommer, darunter Degas. Sie trafen sich in einem sehr auffälligen, originellen Haus, dem Chalet du Bas-Fort-Blanc des Malers Jacques-Emile Blanche. Du besuchtest sie im Glauben, diese Freunde würden dich mit offenen Armen empfangen;doch sie ließen sich verleugnen, und du sahst, wie Degas und Blanche dich hinter den Fenstervorhängen beobachteten, während der Hausdiener dich abwies. Fortan mieden die beiden dich wie jemanden, der nicht gesellschaftsfähig war. Und du warst es nicht, Koke. Du triebst dich mit deiner Staffelei, deinen Farben und deinem Zeichenkarton mutterseelenallein im Hafen und auf den Klippen herum und maltest Badende, Sandstrände, hohe Felsenriffe. Die Bilder waren schlecht. Du fühltest dich wie ein räudiger Hund. Es war nicht weiter seltsam, daß Degas, Blanche und die anderen Maler in Dieppe dir aus dem Weg gingen: du liefst wie ein Bettler herum, denn das warst du geworden.
    Aber das Schlimmste stand noch bevor, Koke. Es kam mit dem Winter, als du, abermals ohne Geld, nach Paris zurückkehrtest. Deine Schwester Marie Fernande brachte dir Clovis zurück, um den sie sich während deines Aufenthalts in Dieppe widerwillig gekümmert hatte. Das Ehepaar Schuffenecker konnte dich nicht länger bei sich aufnehmen. Du mußtest ein elendes kleines Zimmer ohne Möbel in der Rue Cail mieten, in der Nähe des Ostbahnhofs. Auf einem Flohmarkt triebst du ein kleines Bett für Clovis auf. Du schliefst auf dem Boden, zitternd vor Kälte unter einer dünnen Decke. Du hattest nur Sommerkleidung; Mette schickte dir nie die Winterkleidung, die du in Kopenhagen gelassen hattest. Sie waren eiskalt, diese Monate Ende 1885 und Anfang 1886, und es schneite häufig. Clovis bekam Windpocken, und du konntest ihm nicht einmal Medikamente kaufen; er überlebte, weil er wohl wie du eine starke Konstitution und einen rebellischen Geist besaß, dem im Unglück Kräfte zuwuchsen. Du ernährtest ihn mit ein wenig Reis, und du selbst nahmst an vielen Tagen kaum mehr als einen Kanten Brot zu dir. Damals – die Verzweiflung, Koke – mußtest du mit dem Malen aufhören, um dich und dein Kind am Leben zu erhalten. Als du schon dachtest, es könne eine Lösung sein, dich mit dem Kind in den Armen von einer der Brücken in die eisigen Wasser der Seine zustürzen, fandest du Arbeit: Werbeplakate in den Bahnhöfen von Paris kleben. Glückwunsch, Koke! Es war eine harte Arbeit, im Freien, bei der du dich von Kopf bis Fuß mit Kleister beschmiertest, aber sie erlaubte dir, in ein paar Wochen genug zu sparen, um Clovis in einer sehr bescheidenen Pension in Antony, außerhalb von Paris, unterzubringen.
    War dieser Winter 1885-86, als du kurz davor warst, zu kapitulieren, der schlimmste Augenblick deines Lebens? Nein. Es war der jetzige, obwohl du ein Dach über dem Kopf hattest und – dank Daniel de Monfreid und dem Galeristen Ambroise Vollard – ein wenig Geld, das dir bei aller Knappheit erlaubte, zu essen und zu

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