Das Paradies ist anderswo
Inspiration, im Auftrag zu schreiben. Und auch der große Lamartine lehnte ab, mit dem Hinweis, daß du etwas predigtest, das er bereits in seiner visionären Marseillaise des Friedens vorweggenommen hatte.
Und so kam es, Florita, zu deinem unglücklichen Einfall, einen »Sangeswettstreit zur Feier der menschlichen Brüderlichkeit« einzuberufen. Der Preis sollte eine Medaille sein, die der stets großzügige Eugène Sue stiften würde. Was für ein schwerer Irrtum, Andalusierin! An die hundert proletarische Dichter und Komponisten beteiligten sich, entschlossen, mit ihrem Talent oder in Ermangelung eines solchen mit jedem anderen Mittel den Wettbewerb zu gewinnen und die Medaille und den Ruhm davonzutragen. Du hättest nie gedacht, daß die Eitelkeit, die du in deiner Naivität für ein bürgerliches Laster hieltest, ein solches Ausmaß an Intrigen, Ränken, Verleumdungen, Tiefschlägen zwischen den Teilnehmern auslösen würde, denen es nur darum ging, sich gegenseitig abzuqualifizieren und den Preis zu gewinnen. Kaum jemals hatte dich so oft die Wut gepackt, hattest du dich so oft heiser schreien müssen, wie durch die Schuld dieser Dichterlinge und Musikanten. An dem Tag, an dem die überforderte Jury den Preis M. A. Thys zusprach, stellte sich heraus, daß einer der abgeschlagenen Teilnehmer, ein Poet namens Ferrand, ein sympathischer Spinner, der sich selbst tiefernst als »Großmeister des lyrischen Ordens der Templer« präsentierte, die Medaille und das Büchergeschenk gestohlen hatte, als er erfuhr, daß ein anderer der Gewinner war. Lachtest du, Florita? Dann ging es dir wohl nicht so schlecht, wenn dir noch Kräfte blieben, um zu lächeln, und sei es auch im Schlaf und angeregt von den kleinen Dosen Opium.
Du konntest vage die Stimmen hören, aber dir fehlte die Konzentration und der klare Verstand, um zu erfassen, was sie sagten. Deshalb warst du nicht in der Lage, dich zu wehren, als am 11. November 1844 dieser dreiste Rauchfaßträger der katholischen Herde, der erklärte, Stouvenel zu heißen, in Begleitung eines Geistlichen bei Charles und Elise Lemonnier erschien, um dir die Letzte Ölung zu geben, mit der Behauptung, du seist eine fromme Gläubige und habest es in der Vergangenheit so verlangt, und außerstande– Madame-la-Colère nunmehr ohne Stimme, ohne Kräfte und ohne Bewußtsein –, beide aus dem Zimmer werfen. Elise und Charles Lemonnier, stets tolerant gegenüber allen Glaubensvorstellungen, hatten sich überrumpeln und täuschen lassen; sie hatten den Schwindel geglaubt, ihnen Zutritt gewährt und zugelassen, daß sie mit deinem reglosen Körper nach ihrem Gutdünken verfuhren. Später, als Eléonore Blanc sie empört darauf hinwies, Madame hätte niemals eine derartige obskurantistische Pantomine zugelassen, wenn sie ihre fünf Sinne beisammengehabt hätte, waren die beiden betrübt und wütend. Doch der angebliche Stouvenel und der Pfaffe hatten ihr Ziel erreicht und setzten überall in Bordeaux die Lüge in Umlauf, Flora Tristan, die Vorkämpferin der Frauen und der Arbeiter, habe auf ihrem Totenbett nach der Hilfe der heiligen Kirche verlangt, um im Frieden mit Gott in das ewige Leben einzugehen. Arme Florita!
Kaum hielt Flora die ersten Exemplare von L’Union Ouvrière in Händen, schickte sie die Broschüre an sämtliche berufsständischen und genossenschaftlichen Vereinigungen, deren Adresse sie sich beschaffen konnte. Und verteilte einen Prospekt über das Buch in dreitausend Werkstätten und Fabriken in ganz Frankreich. Weißt du noch, wie viele Briefe du von Lesern deines Buch-Manifests bekamst? Dreiundvierzig. Alle mit Worten der Ermutigung und der Hoffnung, wenn sich auch manche voll Bedenken fragten, ob deine Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht nicht ein großes Hindernis sei. War sie das gewesen, Florita? Im Grunde nicht sehr. Recht und schlecht hattest du in diesen acht Monaten viel Propaganda für das Bündnis von Arbeitern und Frauen machen und eine gute Anzahl von Komitees auf den Weg bringen können. Du hättest nicht sehr viel mehr ausrichten können, wenn du statt Röcken Hosen getragen hättest. Einer der Briefe stammte von einem ikarischen Arbeiter aus Genf, der um fünfundzwanzig Exemplare für seine Arbeitskollegen in der Werkstatt bat. Ein anderer von dem Schlosser PierreMoreau aus Auxerre, der mehrere Genossenschaften gegründet hatte und der erste war, der dich anhielt, Paris zu verlassen und eine große Reise durch ganz Frankreich, ganz Europa zu
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