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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Ouvrière 1843 war eine wahre Heldentat, auf die du noch jetzt stolz warst, wenn es dir für Augenblicke gelang, aus dem Zustand des Leidens, des völligen Abgeschnittenseins von deiner Umgebung aufzutauchen, in den die Krankheit dich versinken ließ. Es war ein Sieg deiner Beharrlichkeit über die feindlichen Umstände gewesen, nicht wahr, Andalusierin?, daß dieses Büchlein herauskommen konnte, das bereits in drei Auflagen erschienen und durch Hunderte von Arbeiterhände gegangen war. Sämtliche Verleger, die du in Paris kanntest, hatten sich unter nichtigen Vorwänden geweigert, es zu veröffentlichen. In Wirklichkeit fürchteten sie, sich Schwierigkeiten mit der Obrigkeit einzuhandeln.
    Damals war dir eines Morgens, als du vom kleinen Balkon in der Rue du Bac aus die massigen Türme von Saint-Sulpice betrachtetest – von denen einer nicht vollendet war –, die Geschichte (die Legende?) des Pfarrers Jean-Baptiste Languet de Geray eingefallen, der sich eines Tages vorgenommen hatte, allein mit Hilfe milder Gaben eine der schönsten Kirchen von Paris zu errichten. Und sich ohne Bedenken darangemacht hatte, an den Türen zu betteln. Warum solltest du nicht das gleiche tun, um ein Buch zu drucken, das zum künftigen Evangelium für die Frauen und Arbeiter der ganzen Welt werden konnte? Du hattest diese Idee noch nicht zu Ende gedacht, als du schon dabei warst, einen »Appell an alle Menschen mit Verstand und Opferbereitschaft« abzufassen. Du setztest deine Unterschrift darunter, gefolgt von denen deiner Tochter Aline,deines Freundes, des Malers Jules Laure, deines Dienstmädchens Marie-Madeleine und deines Wasserträgers Noël Taphanel, und brachtest ihn unverzüglich bei allen Freunden und Bekannten in Umlauf, damit sie einen Beitrag zur Finanzierung des Buches leisteten. Wie gesund und stark warst du damals, Flora! Du konntest zwölf, fünfzehn Stunden durch ganz Paris laufen und diesen Appell verteilen – du trugst ihn zu mehr als zweihundert Adressen –, den am Ende so bekannte Personen wie Béranger, Victor Considérant, George Sand, Eugène Sue, Pauline Roland, Frédérick Lemaître, Paul de Kock, Louis Blanc und Louise Colet unterstützten. Andere wichtige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens schlugen dir jedoch die Tür vor der Nase zu, so Delacroix, David d’Angers, Mademoiselle Mars und natürlich Etienne Cabet, der ikarische Kommunist, der das Weltmonopol im Kampf für die soziale Gerechtigkeit haben wollte.
    1843 war auch das Jahr, in dem sich die soziale Zusammensetzung des Personenkreises, der sie in ihrer kleinen Wohnung in der Rue du Bac besuchte, radikal veränderte. Flora empfing an den Donnerstagabenden. Zuvor waren die Besucher geistig interessierte Angehörige gehobener Berufe, Journalisten und Künstler gewesen; seit Anfang 1843 waren es hauptsächlich Anführer von Genossenschaften und Arbeitervereinen sowie einige Fourieristen und Saintsimonisten, die sich im allgemeinen kritisch über den in ihren Augen extremen Radikalismus Floras äußerten. Nicht nur Franzosen erschienen in der engen Wohnung in der Rue du Bac, um die Tasse dampfender Schokolade zu trinken, die sie ihren Gästen anbot, wobei sie vorgab, sie stamme aus Cusco. Zuweilen kam auch ein englischer Chartist oder Owenit, auf der Durchreise in Paris, und eines Abends fand sich ein deutscher Sozialist namens Arnold Ruge bei ihr ein, der nach Frankreich geflohen war. Ein ernster, intelligenter Mann, der ihr aufmerksam zuhörte und sich Notizen machte. Floras These von der Notwendigkeit einer großen internationalen Bewegung, in dersich die Arbeiter und die Frauen der ganzen Welt zusammenschließen würden, um der Ungerechtigkeit und der Ausbeutung ein Ende zu machen, beeindruckte ihn sehr. Er stellte ihr viele Fragen in tadellosem Französisch und bat Flora um Erlaubnis, in der folgenden Woche wiederkommen und einen deutschen Freund, einen jungen Philosophen namens Karl Marx, mitbringen zu dürfen, der ebenfalls Flüchtling sei und mit dem sie, so versicherte er ihr, sich ausgezeichnet verstehen werde, denn er habe ähnliche Ideen wie sie über die Arbeiterklasse, der er ebenfalls eine erlösende Funktion für die gesamte Gesellschaft zuweise.
    Arnold Ruge kam in der Tat in der folgenden Woche wieder, gemeinsam mit sechs deutschen Gefährten, sämtlich Exilanten, darunter der Sozialist Moses Hess, der sehr bekannt war in Paris. Keiner von ihnen war Karl Marx; er war durch die Vorbereitung der letzten Nummer einer

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