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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Lebensunterhalt durch Porträts der französischen Siedler verdienen zu wollen, bei denen er seinen wenigen europäischen Freunden zufolge als extravagant und nicht gesellschaftsfähig galt.
    Er hatte Teha’amana kein Wort von seinen Plänen gesagt, aus Furcht, seine vahine könnte ihm zuvorkommen, wenn sie erführe, daß er sie bald verlassen würde. Sie war ihm ans Herz gewachsen. Mit Teha’amana konnte er über alles reden, weil das Mädchen, auch wenn es von vielen ihm wichtigen Themen wie Schönheit, Kunst und alte Kulturen nichts wußte, einen wachen Geist hatte und ihre Bildungslücken durch Intelligenz ausglich. Ständig überraschte sie ihn mit irgendeiner Initiative, einem Scherz, einem unerwarteten Einfall. Liebte sie dich, Koke? Du warst dir nicht sicher. Sie war immer willig, wenn du nach ihr verlangtest, war bei der Liebe zärtlich und geschickt wiedie erfahrenste Kurtisane. Aber bisweilen verschwand sie zwei oder drei Tage aus Mataiea, und wenn sie zurückkam, gab sie dir nicht die geringste Erklärung. Wenn du erfahren wolltest, wo sie gewesen war, wurde sie ungeduldig und rückte nicht damit heraus: »Ich war weg, ich war weg, ich hab’s dir doch schon gesagt.« Nie hatte sie die geringste Eifersucht erkennen lassen. Koke erinnerte sich, daß er in der Nacht der tamara’a , während er auf dem Boden Maoriana umarmte, wie im Traum das vom Feuer erleuchtete Gesicht Teha’amanas gesehen hatte, die ihn mit ihren großen, pechschwarzen Augen spöttisch anschaute. Diese vollkommene Gleichgültigkeit angesichts dessen, was ihr Gefährte tat – war sie die natürliche Form der Liebe in der Tradition der Maori, ein Zeichen ihrer Freiheit? Zweifellos, obwohl seine Nachbarn in Mataiea, als er sie danach fragte, der Antwort kichernd auswichen. Teha’amana legte auch niemals die geringste Feindseligkeit gegenüber den Bewohnerinnen des Dorfes und der Umgebung an den Tag, die Koke einlud, für ihn Modell zu stehen, und zuweilen half sie ihm dabei, sie zu überreden, dies nackt zu tun, wogegen sie sich gewöhnlich sträubten.
    Wie hätte deine vahine auf die Geschichte mit Jotefa reagiert, Koke? Du würdest es nie erfahren, denn du hattest nie gewagt, sie ihr zu erzählen. Warum? Lebten in dir noch immer die Vorurteile der zivilisierten europäischen Moral? Oder lag es einfach daran, daß du verliebter in Teha’amana warst, als du hättest zugeben wollen, und fürchtetest, sie könnte böse werden und dich verlassen, wenn sie erführe, was bei jenem Ausflug geschehen war? Aber Koke! Würdest du sie denn nicht ohne den geringsten Skrupel verlassen, sobald du deine Repatriierung als mittelloser Künstler erreicht hättest? Ja, das stimmte. Doch bis dahin w o l l t e s t du – bis zum letzten Tag – weiter mit deiner schönen vahine leben.
    Sein Leben in diesen Monaten sollte ihm später, als das Mißgeschick ihn in den Klauen hielt, angenehm und vor allem produktiv erscheinen. Ohne die ewigen Geldproblemewäre es natürlich noch besser gewesen. Die seltenen Überweisungen Monfreids oder des guten Schuff reichten nie aus, um die Ausgaben zu bestreiten, und sie waren ständig bei Aoni, dem chinesischen Händler in Mataiea, verschuldet.
    Er stand früh auf, beim ersten Licht des Tages, badete im nahen Fluß, nahm ein frugales Frühstück zu sich – die unvermeidliche Tasse Tee und ein Stück Mango oder Ananas – und machte sich mit nie nachlassender Begeisterung an die Arbeit. Er fühlte sich wohl in dieser Welt mit ihrem heftigen Licht, ihren klaren, kontrastreichen Farben, ihrer Hitze, mit den erwachenden Geräuschen der Natur und der Menschen und der ewigen Litanei des Meeres. An dem Tag, an dem er Jotefa kennenlernte, malte er nicht, sondern schnitzte. Kleine Figuren, ausgehend von Skizzen, die er rasch hinwarf und bei denen er versuchte, die kompakten Gesichter mit ihren platten Nasen, breiten Mündern, dicken Lippen und die kräftigen Körper der Tahitianer seiner Nachbarschaft mit wenigen Strichen einzufangen. Und von ihm erfundene Götzen, denn zu seinem Bedauern gab es auf der Insel keine Spuren mehr von Statuen oder Totems der alten Götter der Maori.
    Der junge Bursche, der in der Nähe seiner Hütte Bäume fällte, war neugieriger oder weniger schüchtern als die übrigen Nachbarn in Mataiea, die, wenn Koke nicht auf sie zuging, selten die Initiative ergriffen, ihn zu besuchen. Er stammte nicht aus dem Ort, sondern aus einem kleinen Dorf im Innern der Insel. Die Axt geschultert, Gesicht und

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