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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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eröffnen. Die Arbeiterunion würde der leidenden Menschheit Gerechtigkeit bringen. Eine der Damen, die sich zornig mit einem Fächer Luft zufächelte, murrte, niemand habe sie über christliche Nächstenliebe zu belehren, sie, die ihre Familie vernachlässige, um sich vier Nachmittage in der Woche frommen Werken zu widmen, schon gar nicht eine dahergelaufene, arrogante Frau mit schmutzigen, löchrigen Schuhen. Die sich erlaube, sie zu verachten! Aber da täuschen Sie sich, Madame: Sie glaube an ihre guten Absichten und wolle sie nur in wirksame Bahnen lenken. Die Spannung löste sich etwas, aber Flora wurde keinerlei Unterstützung zugesagt. Sie verabschiedete sich amüsiert von ihnen; diese vier blinden Damen würden dich nie vergessen. Du hattest ihnen ein wenig die Augen geöffnet,ihnen den Wurm des schlechten Gewissens in den Kopf gesetzt.
    Jetzt fühltest du dich sicher, Andalusierin, imstande, mit deinen hervorragenden Ideen allen Bürgerinnen und Bürgern der Welt die Stirn zu bieten. Denn du hattest eine sehr klare Vorstellung von dem, was gut und was schlecht war, von Henkern und Opfern, und kanntest das Mittel, das sämtliche Übel der Gesellschaft heilte. Wie hattest du dich verändert seit jener schrecklichen Zeit, als du entdecken mußtest, daß André Chazal dich zum dritten Mal geschwängert hatte, und du heimlich, ohne auch nur deine Mutter zu benachrichtigen, die Entscheidung trafst, deinen Ehemann zu verlassen. »Nie wieder.« Und du hattest dich daran gehalten.
    Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, hatte zwei kleine Söhne und eine Tochter, die in ihrem Bauch wuchs. Sie hatte kein Geld, weder Freunde noch Familie, die sie unterstützten. Dennoch entschloß sie sich zu diesem Schritt, der ein Selbstmord war für jede Frau, die Wert auf Sicherheit und einen guten Ruf legt. Doch es gab für sie nichts mehr, für das sie den Preis gezahlt hätte, weiter das Leben einer Sklavin zu führen. Es kam nur darauf an, aus diesem Gitterkäfig namens Ehe zu fliehen. Wußtest du, was dir bevorstand? Nein, natürlich nicht. Nie hätte sie gedacht, daß die dramatischste Folge dieser Flucht die Kugel sein würde, die in ihrer Brust steckte und deren kaltes Metall sie bei Hustenanfällen, Ärger und in mutlosen Momenten plötzlich spürte. Du fühltest keine Reue. Du würdest es wieder tun, denn noch immer, zwanzig Jahre danach, bekamst du Gänsehaut bei der Vorstellung, wie dein Leben aussähe, wenn du Madame André Chazal geblieben wärst.
    Ein unglücklicher Umstand hatte deinen Fortgang erleichtert: der chronische Schwächezustand und die ständigen Krankheiten ihres ältesten Sohnes Alexandre, der 1830, im Alter von acht Jahren, sterben sollte. Der Arzt hatte darauf gedrungen, ihn aufs Land zu bringen, in die saubere Luft, weit entfernt von den schädlichen Ausdünstungenin Paris. André Chazal war einverstanden. Er mietete ein kleines Zimmer in der Nähe von Versailles, im Haus der Amme, die Ernest-Camille stillte, und erlaubte Flora, bis zur Geburt dort zu bleiben. Was für ein Gefühl von Freiheit an dem Tag, als André Chazal sich an der Poststation von ihr verabschiedete. Aline kam zwei Monate später zur Welt, am 16. Oktober 1825, auf dem Land, von der Hand einer Hebamme, die Flora fast drei Stunden lang pressen und schreien ließ. So endete deine Ehe. Es sollten viele Jahre vergehen bis zu einem Wiedersehen mit deinem Ehemann.
    Nachdem sie dreimal insistiert und ihm ein handgeschriebenes Exemplar von L’Union Ouvrière geschickt hatte, ließ sich der Bischof von Dijon herab, sie zu empfangen. Er war ein alter Mann von vornehmer Erscheinung, der sich gebildet ausdrückte und mit dem Flora ein sehr angenehmes Streitgespräch führte. Er empfing sie mit großer Freundlichkeit im Bischofspalast. Er hatte die Broschüre gelesen und überhäufte sie mit Lob, bevor Flora auch nur den Mund auftun konnte. Meine Tochter: ihre Absichten seien rein, edel. Sie besitze ein klares Verständnis für menschlichen Schmerz und den starken Willen, ihn zu lindern. Aber, aber, immer gebe es ein Aber bei allem in diesem unvollkommenen Leben. Im Falle Floras bestehe es darin, daß sie nicht katholisch sei. Lasse sich denn ein großes, sittliches, geistig nützliches Werk außerhalb des Katholizismus vollbringen? Ihre aufrichtigen Absichten würden in falsche Bahnen gelenkt werden, ihr Unterfangen hätte schädliche Folgen statt der von ihr erhofften Resultate. Deshalb – er sage ihr das mit schwerem Herzen – würde er ihr

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