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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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weigerte sich, sie bei sich aufzunehmen, und warf ihr vor, sich wie eine Geisteskranke aufzuführen. Schlimmer noch, sie verriet André Chazal (du warst dir dessen sicher) ihr Versteck in einem schäbigen kleinen Hotel in der Rue Servandoni im Quartier Latin, wohin Flora mit Aline und Ernest-Camille geflohen war. Eines Morgens, als sie das Hotel mit dem Jungen verließ, trat er ihr in den Weg. Sie rannte los, gefolgt von Chazal, der sie vor dem Eingang der Juristischen Fakultät der Sorbonne einholte. Er stürzte sich auf sie und schlug sie. Flora verteidigte sich so gut sie konnte und versuchte, die Schläge mit ihrer Tasche abzufangen, während Ernest-Camille die Hände an den Kopf preßte und wie am Spießschrie. Eine Gruppe von Studenten trennte sie. Chazal brüllte, diese Frau sei seine rechtmäßige Ehefrau und niemand habe das Recht, sich in einen Ehestreit einzumischen. Die künftigen Anwälte reagierten unschlüssig: »Stimmt das, Madame?« Als sie zugab, daß sie mit diesem Herrn verheiratet war, zogen sich die jungen Leute mit betrübten Gesichtern zurück. »Wenn es Ihr Ehemann ist, können wir Sie nicht verteidigen, Madame. Das Gesetz schützt ihn.« »Ihr seid noch größere Schweinehunde als dieser Schweinehund«, schrie Flora, während André Chazal sie mit Gewalt zum Polizeirevier der Place Saint-Sulpice schleppte. Dort wurde sie registriert und vom Kommissar ermahnt und verwarnt: Sie dürfe ihr Hotel in der Rue Servandoni nicht verlassen. Bald werde sie eine richterliche Vorladung erhalten. André Chazal, beschwichtigt, entfernte sich mit dem kleinen Ernest-Camille in den Armen, der schrie und weinte.
    Stunden später war Flora mit der sechsjährigen Aline abermals auf der Flucht. Dank der aus Arequipa eingetroffenen Francs und Piaster irrte sie fast sechs Monate durch das Landesinnere, stets so fern wie möglich von Paris, das sie mied wie die Pest. Sie lebte auf dem Sprung, unter falschen Namen, in bescheidenen Herbergen oder Bauernhäusern, ohne irgendwo lange zu bleiben. Sie war sicher, daß es einen Haftbefehl gegen sie gab. Wenn die Polizei sie faßte, würde sie auch Aline verlieren und im Gefängnis landen. Sie gab sich als Witwe aus, die den Tod ihres Ehemanns betrauerte; als spanische Dame, die ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen hatte; als englische Touristin; als Frau eines Seemanns, der auf dem chinesischen Meer unterwegs sei, weshalb sie sich von ihrer Sehnsucht durch Reisen abzulenken suche. Damit das Geld länger vorhielt, aß sie kaum und suchte immer einfachere Herbergen. Eines Tages, in Angoulême, brach sie vor Erschöpfung, Angst und Ungewißheit zusammen und wurde krank. Das hohe Fieber ließ sie delirieren. Madame Bourzac, die Besitzerin des Bauernhofs, in dem sie logierten,war ihr Schutzengel und Alines Retterin. Sie pflegte Flora, heilte sie, machte ihr Mut, und als diese ihr schluchzend ihre wahre Geschichte erzählte, beruhigte sie sie mit unendlicher Sanftmut:
    »Machen Sie sich keine Sorgen, Madame. Das Mädchen kann nicht weiter so leben, ständig unterwegs, wie eine kleine Zigeunerin. Lassen Sie sie hier bei mir, bis sich Ihre Situation klärt. Ich habe sie ins Herz geschlossen und werde mich um sie kümmern wie um eine Tochter.«
    »Das edelste, großherzigste Wesen, dem ich begegnet bin«, rief Flora aus. »Ohne sie wären Aline und ich in diesen schrecklichen Tagen gestorben. Madame Bourzac! Eine einfache Bäuerin, die kaum ihren Namen schreiben konnte.«
    »Hatten Sie da schon beschlossen, nach Peru zu reisen?« Doktor Emile Goin betrachtete sie so fasziniert, daß Flora errötete.
    »Was blieb mir anderes übrig? Wohin konnte ich noch fliehen vor André Chazal und der zu Unrecht so genannten französischen Justiz?«
    Aus Angoulême schrieb sie einen Brief an Don Mariano de Goyeneche, den Neffen von Don Pío Tristán, der in Bordeaux lebte. Flora war schon in brieflichem Kontakt mit ihm gewesen, als es galt, das Geld aus Arequipa in Empfang zu nehmen. Sie bat ihn um ein Gespräch, um ihm eine heikle und äußerst dringende Angelegenheit anzuvertrauen. Es mußte mündlich sein. Don Mariano antwortete ihr sofort, sehr freundlich. Die Tochter von Don Mariano Tristán, seines Vetters, könne nach Bordeaux kommen, wann immer sie wolle. Man werde sie mit offenen Armen und mit der größten Herzlichkeit empfangen. Don Mariano hatte keine Familie und freute sich, sie so lange bei sich aufzunehmen, wie sie es wünschte.
    »Hier muß ich die Erzählung

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