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Das Paradies ist anderswo

Das Paradies ist anderswo

Titel: Das Paradies ist anderswo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Erniedrigung als Dienstbotin der Familie Spence mit Aline geflüchtet hattest. Ein Ort, an dem, so dachtest du, dich dein Ehemann André Chazal niemals finden würde, vor dem du schon so lange auf der Flucht warst und dich verstecktest. Was für ein unentwirrbares Knäuel von Überschneidungen und Zufällen bestimmte über das Schicksal der Menschen, nicht wahr, Florita? Wie anders wäre dein Leben verlaufen, wenn an jenem Abend in dem kleinen Speisezimmer der Pariser Pension, in dem die Bewohner zu Abend aßen, dein Tischnachbar nicht das Wort an dich gerichtet hätte:
    »Entschuldigen Sie, Madame, aber ich habe gerade gehört, daß die Wirtin Sie Madame Tristan nennt. Heißen Sie so? Sind Sie etwa mit der Familie Tristán in Peru verwandt?«
    Der Schiffskapitän Zacharie Chabrié unternahm Reisen in dieses ferne Land und hatte dort, in Arequipa, die Familie Tristán kennengelernt, die wohlhabendste und einflußreichste der ganzen Region. Eine Patrizierfamilie! Drei Tage lang bedrängte Flora den freundlichen Seemann beimMittag- und beim Abendessen mit Fragen und zog ihm alles aus der Nase, was er über diese Familie, die ihre, wußte, denn Don Pío, Patriarch und Oberhaupt der Familie Tristán, war niemand Geringeres als der jüngere Bruder von Don Mariano, deinem Vater. Diesem Don Pío, deinem leiblichen Onkel, hatte deine Mutter, seitdem sie verwitwet war, unzählige Briefe mit der Bitte um Hilfe geschrieben, ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Die Wege und Umwege des Lebens, Florita. Ohne diese Plaudereien mit Kapitän Chabrié im Jahre 1829 wärst du nie auf den Gedanken gekommen, diesen gefühlvollen, dramatischen Brief an deinen Onkel in Arequipa, den mächtigen Don Pío Tristán y Moscoso, zu schreiben und ihm mit einer Naivität, die du teuer bezahlen solltest, von der Lage zu berichten, in der deine Mutter und du sich seit dem Tod Don Marianos aufgrund der unrechtmäßigen Ehe deiner Eltern befanden.
    Zehn Monate später, als Flora die Hoffnung schon aufgegeben hatte, traf die Antwort Don Píos ein. Ein schlauer, wohlberechneter Brief, in dem er sie zwar »liebe Nichte« nannte, ihr jedoch unmißverständlich klarmachte, daß ihr Status als uneheliche Tochter – ach, die unerbittliche Strenge des Gesetzes! – sie von jedem Anspruch auf das Erbe seines »inniggeliebten Bruders Don Mariano« ausschließe. Ein Erbe, das im übrigen nicht existiere, denn nach der Bezahlung von Schulden und Steuern sei nichts vom Besitz ihres Vaters übriggeblieben. Gleichwohl zeigte Don Pío sich freigebig und schickte seiner unbekannten Nichte in Paris durch einen in Bordeaux ansässigen Vetter, Don Mariano de Goyeneche, ein Geschenk von zweitausendfünfhundert Francs und eine weitere Gabe von dreitausend Piastern von der Mutter Don Píos und Don Marianos, der Großmutter Floras, einer unbeugsamen Matrone von neunundneunzig Lenzen.
    Dieses Geld fiel Flora wie ein wahrer Gottessegen in den Schoß. Sie trug schwer an der unerbittlichen Verfolgung, der André Chazal sie aussetzte. Er hatte ihren Aufenthaltsort in Paris ausfindig gemacht und sie unter der Anklagevor Gericht gebracht, eine entartete Ehefrau und Mutter zu sein. Er forderte die beiden Kinder von ihr, die noch lebten (das älteste, Alexandre, war vor kurzem gestorben). Flora konnte einen Anwalt bezahlen, sich verteidigen, den Prozeß in die Länge ziehen und ein Urteil hinauszögern, das – wie ihr Verteidiger ihr voraussagte – ungünstig für sie ausfallen würde, weil die geltenden Gesetze gegen die Frau entschieden, die ihr Heim verließ. Es kam zu einem Versuch, die Angelegenheit freundschaftlich zu regeln, im Haus eines Onkels von Flora, des Kommandanten Laisney, in Versailles. André Chazal, den sie seit vier Jahren nicht gesehen hatte, erschien mit Alkoholdunst, glasigen Augen und einem Mund voller Zorn und Vorwürfe. Er war halb verrückt vor Groll und Bitterkeit. »Sie haben mich entehrt, Madame«, wiederholte er immer wieder mit bebender Stimme. Nachdem sie sich lange beherrscht hatte, worum ihr Anwalt sie inständig gebeten hatte, konnte Madame-la-Colère nicht mehr an sich halten; sie griff nach dem nächsten Porzellanteller im Regal und zertrümmerte ihn auf dem Kopf ihres Ehemanns. Dieser, außer Gefecht gesetzt, stürzte mit einem Überraschungs- und Schmerzenslaut zu Boden. Flora nutzte die Verwirrung, griff nach der Hand der kleinen Aline – deren Sorgerecht die Justiz dem Vater zugesprochen hatte – und trat die Flucht an. Ihre Mutter

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